Reinen Herzens
vermutlich mit einer Säge …« Sie beschrieb genau, was sie sah und was sie tat, nahm Proben, die sie beschriftete und für das Labor fertig machte. Später würde sie sich von Ota Nebeský den Polizeibericht geben lassen. Vielleicht würde sie sogar die Stelle aufsuchen, an der es gefunden worden war. Spuren würde es dort zwar nicht mehr geben, aber sie würde einen Eindruck gewinnen von dem Fluss an dieser Stelle, von der Strömung des Wassers, von der Umgebung des Fundorts. Immerhin musste das Bein von irgendwoher gekommen sein. Und irgendwo lag noch immer der Rest – wahrscheinlich bis auf die Knochen verwest.
Sie roch ihn, noch bevor er – so leise wie früher sein Vorgänger – den Raum betreten hatte. »Ahoj, Jirka«, sagte sie, ohne aufzusehen. Sie schmunzelte unwillkürlich. Dieser neue Geruchssinn hatte durchaus auch Vorteile.
»Äh … nazdar , Magda«, erwiderte er sichtlich verwirrt.
Sie sah auf und lächelte ihn an. »Ein angenehmes Parfüm – Hugo von Boss, nicht wahr? Jedenfalls riecht es deutlich besser als das da.« Sie deutete auf das grünlich schimmernde Bein.
»So … äh, ja, in der Tat. Na, danke, freut mich, dass es dir gefällt«, erwiderte er und kam zu ihr an den Sektionstisch. »Was machst du da eigentlich? Ich dachte, du wärst längst nach Hause gegangen.«
»Ach, nur ein bisschen Inventur«, erwiderte sie und wandte sich wieder dem Bein zu. »Du bist offensichtlich auch noch nicht auf dem Weg nach Hause.« Jirka trug ebenfalls noch die grüne Arbeitskluft. »Keine Verabredung heute Abend?«
»Nein, ich …« Er zögerte einen Moment und hielt sich dann lieber an das Bein. Über Gefühle zu reden, war nicht seine Stärke, wenn er es nicht mit trockenem bis schwarzem Humor tun konnte. »Was hast du mit dem Ding vor?«
Magda war dankbar für seine Sachlichkeit. »Ich möchte wissen, wer das war. Das Bein liegt hier schon seit dem Sommer herum, ohne dass wir allzu viel darüber wüssten. Offenbar war es Černýs letzter Fall – der über seinem plötzlichen Weggang vergessen wurde.«
»Hm, stimmt. Soweit ich weiß, ist der Rest der Leiche noch nicht aufgetaucht. Was hatte er rausgefunden?«
»Nur das Offensichtliche: ein unfachmännisch abgetrenntes Bein, wahrscheinlich weiblich, lag längere Zeit im Wasser, Alter zwischen dreißig und fünfzig. Er hat sich nicht lange damit befasst.«
»Weißt du inzwischen mehr?« Er betrachtete das Bein aufmerksam. Ein durchschnittliches Bein, die Haut weißlich-grün, aufgedunsen, angefressen und mit bleichen, ausgefransten Muskelfasern am abgesägten Ende. Alles andere als ein schöner Anblick. Und es stank wie vier Wochen alter Fisch – wie eine Wasserleiche eben.
»Ich nehme an, dass es ein weibliches Bein ist. Um das Alter genauer zu schätzen, muss ich mir die Knochen und Gelenke näher ansehen. Ich lasse das ganze Labor machen, das hat Černý wohl nicht mehr veranlasst. Jedenfalls habe ich nichts gefunden.« Sie deutete auf einen Satz kleiner Röhrchen, die auf dem Instrumententisch lagen. »Ich möchte versuchen, die ganze Frau zu rekonstruieren. Wie gesagt, ich will wissen, wer das war.«
»Das wird nicht funktionieren, meine Liebe. Wir haben nur ein Bein. Solange der Rest nicht auftaucht, ist deine Arbeit daran für die Katz«, erwiderte er skeptisch.
»Vielleicht geht es doch. Ich habe während meines Studiums oft meiner Mutter bei Rekonstruktionen geholfen. Anhand der Knochen und Muskeln kann man immerhin auf die Größe, das Alter und bis zu einem gewissen Grad auch auf die Statur und die Ethnie schließen. Ein Phantombild des Gesichts werden wir zwar nicht kriegen … Andererseits …« Sie brach nachdenklich ab. »Ich habe da so eine Idee.« Sie lächelte vielsagend.
»Und die wäre?« Jirkas Ton war freundlich, aber misstrauisch. Er schätzte Magda als Mensch und als Kollegin. Sie war eine fähige forensische Pathologin, aber Hellseherin war sie nicht. Über seine anderen, gelegentlich an einsamen Abenden aus den Untiefen seines Unterbewusstseins auftauchenden Gefühle ihr gegenüber wollte er lieber nicht nachdenken. Ihr Lächeln zerrte an genau diesen Gefühlen.
»Wir könnten es mit einer Isotopenanalyse versuchen«, unterbrach sie seine Gedanken. Sie neigte den Kopf etwas zur Seite und sah ihn erwartungsvoll an.
»Du meinst, du willst versuchen rauszukriegen, wo sie her sein könnte?« Er versuchte, die anmutige Geste zu ignorieren. »Nette Idee, aber wir haben nicht die Möglichkeit dazu – das ist alles
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