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Reinen Herzens

Reinen Herzens

Titel: Reinen Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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begeistert gewesen war. Mühsam unterdrückte sie den Drang, die Küche aufzuräumen, dabei war sie selbst alles andere als eine perfekte Hausfrau. Aber alles hatte seine Grenzen. Sie schloss die Tür hinter sich, wie sie es gelegentlich bei den ebenso chaotischen Zimmern ihrer Kinder zu machen pflegte, und ging zurück zu Jirka.
    »Hast du etwas gefunden?«, fragte sie.
    Er schüttelte den Kopf. »Nur Mathe. Unglaubliches Zeug, sagt mir gar nichts. Sieht teilweise nicht mal aus wie Mathe, jedenfalls nicht wie das, was ich so hatte. Aber nichts, was mit seiner Arbeit zu tun hätte, außer er verklausuliert seine Fälle in mathematischen Formeln. Ich glaube, hier verschwenden wir unsere Zeit. In den Schubladen war auch nichts außer Bürobedarf. Der aber perfekt sortiert. Komischer Kerl.« Er ließ den Computer wieder herunterfahren. »Und das Zeug auf dem Schreibtisch ist auch nur das, was er für seine Vorlesungen braucht. Ein Wunder, dass er da seine Aufzeichnungen findet. Wenn der Schreibtisch der Spiegel des Verstandes ist, dann möchte ich lieber nicht wissen, wie es im Hirn unseres Engels aussieht.«
    Sie lächelte. »Offensichtlich hat er das Chaos ausgelagert. Im Kopf hat er es jedenfalls nicht.« Sie seufzte. »Jirka, ich hoffe so sehr, dass ihm nichts passiert ist … Lass uns gehen, ich muss hier raus. Dieses Chaos macht mich depressiv.« Von den Erinnerungen und Gefühlen, die ihre Anwesenheit hier auslöste, wollte sie lieber nicht sprechen.
    Eine knappe Stunde später waren sie durch den üblichen grauenhaften Verkehr endlich in Magdas Restaurant angekommen. Die letzten Gäste waren gegangen, und Magda schickte die Köchin und die Kellnerin nach Hause und schloss hinter beiden ab. Während Jirka von der Bar Gläser und eine Weinflasche holte, ging sie in die Küche, um zu sehen, ob es noch etwas zu essen gab. Sie hatte keine Lust zu kochen, es würde also eine tschechische Kneipen-Brotzeit geben. Sie holte ein großes Einmachglas mit Utopence aus der Speisekammer. Diese »Ertrunkene« genannten Würste waren so etwas wie sehr dicke und kurze Wiener oder Lyoner, eingelegt in einem Essigsud mit Zwiebelstreifen, sauren Gurken und Peperoni, die man in praktisch jeder böhmischen Kneipe bekam, wo so ein Fünfliter-Einmachglas in der Regel auf dem Tresen stand wie in Berliner oder Kölner Kneipen die Soleier. In der Speisekammer entdeckte sie auch eingelegten Hermelin, einen wie einen Kuchen quer zerschnittenen Camembert, der mit Zwiebel- und Knoblauchscheiben und einer im Mörser fein zerstoßenen Mischung aus Thymian, Rosmarin und Wacholderbeeren belegt wurde. Die gewürzten Scheiben wurden wie eine Torte aufeinandergeschichtet und in einem großen Weckglas zusammen mit scharfen Peperoni in Öl eingelegt. Sie machte zwei Teller mit dem Käse und den Würsten zurecht, dann schnitt sie Schwarzbrot auf, das sie in einer Pfanne röstete, bis es goldbraun war. Auf den heißen Brotscheiben verrieb sie jeweils eine halbe Knoblauchzehe, bestrich sie mit Butter, die sofort zerfloss und das Brot tränkte, und salzte sie schließlich. Sie liebte diese einfache, Topinky genannte Spezialität. Die Zubereitung der Brotzeit, dachte sie zufrieden, während sie das Essen aus der Küche zu ihrem Tisch trug, hatte den gewünschten Effekt gehabt, sie hatte ihren Kopf leer bekommen, die Mischung widersprüchlicher Gefühle, die sie in Davids Wohnung überfallen hatten, war verflogen. Der intensive Duft des Essens hatte alle unangenehmen Geister vertrieben.
    Nachdem sie gegessen und das Geschirr gespült und aufgeräumt hatten, setzten sie sich bei einem Glas Wein zurück an ihren Tisch.
    »Ich habe ein paar Adressen in Davids Papierverhau gefunden«, sagte Jirka, »unter anderem die von Eva Urbanová und die Telefonnummer von diesem Felix Benda.«
    »Also doch etwas. Worauf wartest du? Ruf an.«
    »Na schön. Versuchen wir es.« Er holte sein Handy heraus und tippte die erste Nummer ein. Nach einer Weile versuchte er es mit der zweiten. »Schade. Und jetzt?«
    Magda trank ihr Glas aus und schenkte sich noch einmal ein. »Keine Ahnung. Wenn er lebt, Jirka, warum meldet er sich dann nicht?« Die angenehme Gedankenlosigkeit begann sich wieder aufzulösen. Die Bilder aus Davids Wohnung krochen zurück vor ihr geistiges Auge. Die Frage, die sie sich in seinem Schlafzimmer gestellt hatte, kreiste wie ein Mantra in ihrem Kopf. Was wusste sie schon über Davids frühere Beziehungen? Sie hatten nie über solche Dinge gesprochen. Es

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