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Reinen Herzens

Reinen Herzens

Titel: Reinen Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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tauchte. Von der Bar her dudelte leise ein Radio die üblichen Schnulzen. Das Lokal sah zwar nicht gerade aus, wie Larissa sich einen siebten Himmel vorstellte, aber es war angenehm. Sie hatte einen Tisch in der Ecke ausgesucht, von dem sie einen guten Überblick sowohl über den Gastraum als auch den Eingang hatte. Direkt neben ihrem Tisch stand ein altes, aber offensichtlich gut gepflegtes schwarzes Klavier mit zwei Kerzenleuchtern. Sie erinnerte sich, dass John gesagt hatte, gelegentlich würden Leute darauf spielen. Es zuckte ihr in den Fingern. In Prag hatte sie kein Klavier, aber zu Hause hatte sie gespielt, sooft sie konnte. Sie vermisste diese meditativen Stunden. Von der Tür her kam ein Schwall kalter Luft, sie sah hinüber. Nein, nicht John. Ein Mann in einer Art Fliegerjacke, Jeans und Sonnenbrille. Er sah sich kurz um und setzte sich an einen Tisch auf der anderen Seite, von dem aus er einen ähnlich guten Überblick hatte wie Larissa. Blondes Haar und gepflegter kurzer Vollbart. Attraktiv, wenn auch ein bisschen affig mit der Sonnenbrille, die er beim Eintreten nicht abgesetzt hatte. Sie ließ ihren Blick über die anderen Gäste schweifen, kehrte aber immer wieder zu dem Neuzugang zurück. Er passte so gar nicht hierher – nicht in die Kneipe, nicht in diese verschlafene Kurstadt. Wie lange es wohl dauern würde, bis er seine Brille abnahm? Der Typ bestellte etwas und ließ den Blick, soweit Larissa das beurteilen konnte, durch den Raum wandern. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, dann wandte er sich der Bedienung zu, die ein Glas Wein gebracht hatte, und fragte etwas. Die Kellnerin schüttelte den Kopf, antwortete, lächelte keck und ging. Mit betontem Hüftschwung. Sein Blick folgte der jungen Frau ein paar Sekunden lang, dann kehrte er zu Larissa zurück, das Gesicht völlig ausdruckslos. Ohne hinzusehen, zog er ein Päckchen Zigaretten aus seiner Jacke, zündete sich eine an, den Blick noch immer in Larissas Richtung. Sie bestellte noch ein Glas Wein. Obwohl sie sicher war, dass sie den Mann noch nie gesehen hatte, kam er ihr irgendwie vertraut vor. Als die Kellnerin mit ihrem Glas zurückkam, fragte Larissa sie nach dem Typen.
    »Keine Ahnung, wer das ist. Hab ihn noch nie hier gesehen. Er hat nach Gustav Mottl gefragt, aber der kommt gewöhnlich später.« Sie lächelte und zwinkerte Larissa zu. »Heißer Typ, was? Mal was anderes als die alten Herrschaften, so nett sie sind. Soll ich Musik auflegen? Vielleicht tanzt er ja …«
    »Oh, nein, danke, nicht meinetwegen, bitte«, wehrte Larissa ab, »aber ich habe eine Frage. Ein Freund sagte, gelegentlich spielten Gäste auf Ihrem Klavier hier. Darf das jeder?«
    »Wenn Sie es können, bitte sehr. Gerne. Vielleicht kommt dann ein bisschen Leben in die Bude.« Sie zwinkerte Larissa noch einmal zu und ging zur Bar.
    Larissa nahm einen Schluck Wein. Sie fühlte sich entspannt, genoss den Abend. Es fehlte nur noch angenehme Gesellschaft. Oder ein bisschen wohldosierte Aufregung, etwas Spannung, ein Spiel … Der Typ sah noch immer in ihre Richtung. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Wohin genau er sah, konnte sie wegen seiner dunklen Gläser nicht erkennen. Aber sie spürte seinen Blick. Komisches Gefühl. Irgendwie auch angenehm – oder vielmehr aufregend. Wenn sie nur wüsste, an wen er sie erinnerte. Ihr Blick streifte das Klavier. Konnte man mithilfe eines Klaviers flirten? Sie hatte es noch nie probiert. Warum eigentlich nicht? Ob sie den Typen aus der Reserve locken könnte? Zu einem Flirt verführen? Sie hatte es noch nie auf so etwas angelegt, solche Dinge ergaben sich einfach. Oder nicht? Die Idee eines solchen Experiments gefiel ihr. Ihr stand der Sinn nach Abenteuer. Nach Verwegenheit. Sie stand auf, ging mit ihrem Glas die zwei Schritte zum Klavier und setzte sich. Ihr Weinglas stellte sie oben auf den Kasten und strich mit den Fingern sanft über die Elfenbeintasten. Es war gestimmt und hatte einen guten Klang. Larissa spielte gerne Klassik, mit Vorliebe Chopin und Mendelssohn-Bartholdy, aber dies war nicht der Ort dafür – siebter Himmel hin oder her – und definitiv das Falsche für ihr Experiment. Dann fiel ihr etwas ein, und ihre Finger fanden wie von selbst die Tasten: »I am what I am.« Die Gespräche verstummten mit den ersten Klängen des Klaviers, aber Larissa bemerkte es nicht. Sie ging ganz auf im Spiel, begann, unbewusst mitzusummen, schließlich leise zu singen, jedenfalls die Teile des

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