Reinen Herzens
da noch diese Geschichte mit den sogenannten roten Rosen – und nicht zu vergessen die verschwundenen Maschinen, welcher Art die auch immer waren. Hörte sich an wie eine Geschichte von Miss Marple. Wie das Geheimnis der in die Butter eingesunkenen Petersilie – oder so ähnlich. Und nicht zu vergessen: die Wasserleiche. Immerhin hatte sie sie entdeckt. Vielleicht war es nur ein Unfall gewesen oder ein Selbstmord. Sie stutzte. Mottl hatte etwas gesagt … natürlich, er hatte jemanden gesehen, der nachts ein Auto mit Prager Kennzeichen im See versenkt hatte … Sie hatte das ganz vergessen, als sie mit dem Inspektor gesprochen hatte. Eine Wasserleiche und ein versenktes Auto – daraus wird man ja wohl was stricken können, dachte sie und lächelte zufrieden. Und heute Abend würde sie in dieses Lokal gehen, in dem John Ketchum seine Freizeit verbrachte. Sie würde ihm von den verschwundenen Maschinen erzählen, die passten ganz gut zu seinen imaginären roten Rosen. Und einer, der damit offenbar irgendwie zu tun hatte, war auch verschwunden. Wie hieß er gleich … richtig, Viktor. Vielleicht hatte der Amerikaner sich doch nicht alles einfach nur zusammenfabuliert. Aber vorher würde sie noch ein bisschen recherchieren. Sie hatte bei Weitem nicht genug Ahnung von Uran, Quecksilber, Wasserstoffbomben und diesem ganzen Zeug. Jedenfalls nicht mehr als ein durchschnittlicher Mensch nach zwei Jahren Chemieunterricht. Und der war schon eine Weile her. Sie öffnete ihren Laptop und schaltete ihn ein. Ein paar Runden im Internet würden ihre Bildungslücken sicher schließen.
Einige Stunden später hatte sie einen Block voller Notizen und das dumpfe Gefühl, dass John mit dem Feuer spielte – oder einer veritablen Urban Legend aufgesessen war. Sie musste über all das, was sie da gefunden und gelesen hatte, gründlich nachdenken. Ihr Rücken schmerzte, und ihr Magen knurrte. Also schnappte sie sich ihre Handtasche und machte sich auf den Weg zum Bus. Hoffentlich gab es Im Siebten Himmel etwas Ordentliches zu essen. Sie hatte einen Bärenhunger. Und keine Lust auf Manna.
29
Lhář musí mít aspoň potuchu o pravdě.
Ein Lügner muss wenigstens
eine Idee von der Wahrheit haben.
David Anděl trat hinaus auf den Hof und atmete die frische Luft tief ein. Er hatte sich inzwischen weitgehend von dem Schock erholt, plötzlich Magdas Schwester gegenüberzustehen. Dümmer hätte er es nicht treffen können. Dass es ihn ausgerechnet hierher verschlagen hatte. Ein Glück nur, dass sie sich noch nie persönlich begegnet waren. Nach einem Begrüßungstrunk waren die fünf anderen Teilnehmer des Yoga-Kurses zur ersten Trainingsstunde in den großzügigen Übungsraum in der ausgebauten Scheune gegangen und Anděl, alias Martin Trojan, hatte sich mit Verweis auf seine schmerzende Schulter entschuldigt. Er war noch eine Weile sitzen geblieben und hatte darüber nachgedacht, was er nun tun wollte. Eine andere Unterkunft suchen. Die Grenzen des Körpers überwinden. Mehr war ihm nicht eingefallen. Seine Gedanken kreisten um Magda und Eva. Er war definitiv am falschen Ende der Republik gelandet. Auf der anderen Seite des Hofes sah er die Lichter des Übungsraumes. Durch die großen Fenster konnte er die Handvoll Yogis bei ihren Übungen beobachten. Agáta Abrhámová machte eine sehr gute Figur dabei. Er staunte über ihre Gelenkigkeit und Ausdauer. Mit fünfundachtzig noch so beweglich und fit zu sein – Respekt. Er hob die Arme und versuchte, sie über den Kopf nach oben zu strecken. Die linke Schulter schmerzte, aber es ging. Immerhin. Er schüttelte die Arme aus und versuchte noch ein paar leichte Dehnungsübungen.
»Was machst du da?«, ertönte eine hohe Stimme neben ihm.
Er drehte sich erschrocken um. Rechts von ihm stand, halb hinter einem Busch verborgen, eine kleine, schmale Gestalt – ein Kind. »Oh, ich dehne mich ein bisschen. Du kannst dich ziemlich gut anschleichen.« Er lächelte. »Wie ein echter Indianer.«
Das Kind trat einen Schritt vor. Ein schmales Mädchen, wie er nun erkennen konnte, vielleicht elf oder zwölf Jahre alt, mit kurzem, schwarzem Haar und großen blauen Augen, die von fast unwirklich langen, gebogenen Wimpern umrandet waren. Dieser Schlafzimmerblick würde in einigen Jahren den Jungs schlaflose Nächte bereiten, dachte er und schmunzelte. Sie trug eine abgewetzte Jeans, die in hohen Winterstiefeln steckte, und einen grünen Parka. Keine Mütze, keine Handschuhe.
Das Mädchen verschränkte die
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