Reinheit: Chronik der Freiheit - Band I (German Edition)
rein.“
Bemüht leise trat Sam ein und ebenso bemüht leise schloss sie die Tür hinter sich.
„Ich möchte nicht, dass deine neue Familie etwas von meinem Gerede mitbekommt“, erklärte sie, als sie sich mir näherte. „Es gibt eine Sache, um die ich dich bitten muss.“
„Okay, schieß los, Sam.“
„Also, mir ist es etwas unangenehm, dich darum zu bitten, aber ich habe nicht die Kampfausbi ldung, wie du sie hast. Ich habe herausgefunden, wo sich meine Kinder befinden.“
Sam musste nicht weitersprechen. „Du möchtest, dass ich sie hole?“
Sie nickte und wirkte dabei fast schon beschämt. Entweder weil sie mich bitten musste oder weil sie ihre eigenen Kinder nicht retten konnte. Beides war verständlich.
„Ich denke, es wird nicht sonderlich leicht, sie zu retten. Sie befinden sich in einem, ich weiß auch nicht genau, was es sein soll, aber ich glaube, es ist eine Art Lager.“
Sofort kamen mir die Geschichten aus dem Getto in den Sinn. Die Gerüchte über den Verbleib der entführten Kinder.
„Ich habe alle möglichen Informationen für dich gesammelt. Wir wissen, wo sie sich befinden und, dass sie sich in einer Art Lager befinden. Aber ich habe nichts über diese Lager herausfinden kö nnen“, erklärte Sam sichtlich verunsichert. Sicher machte sie sich Sorgen darüber, ob ihren Kindern etwas angetan wurde.
„Ich werde sie retten.“
„Los, aufstehen“, hallte eine tiefe Stimme durch Bloomquvists Zelle.
Er hatte gerade einmal die Augen geöffnet, da sah er schon die genervten und wenig freundl ichen Augen des Pflegers. Bloomquvist würde sich wohl niemals daran gewöhnen, auf diese Weise geweckt zu werden.
Schlaftrunken erhob er sich langsam. Das ständig leuchtende Licht machte ihm schwer , zu schaffen. Obwohl es nur sehr schwach leuchtete, behinderte es das Schlafen enorm. Irgendwie konnte man so nicht richtig zur Ruhe kommen.
Rüde zog der Pfleger Bloomquvist hoch, denn ihm ging das alles viel zu langsam. Dann schubste er ihn mehr oder weniger aus der Zelle heraus direkt in den Korridor.
Das grelle Licht blendete Bloomquvist und offenbarte seine elende Gestalt vollständig. Er war stark abgemagert, konnte sich schon lange nicht mehr rasieren. Kurzum, er sah aus wie ein Obdachloser.
Der Pfleger verließ die Zelle ebenfalls und schloss die Tür ab. Aber Bloomquvist wusste sehr genau, dass die Zelle immer, wenn er sie verlassen mus ste, auch durchsucht wurde. Immer wenn er wieder zurückkam, lag seine Matratze anders auf der Pritsche. Und natürlich waren diese Durchsuchungen auch logisch, er war immerhin in einer Psychiatrie.
Der Pfleger trieb den gebeutelten Mann den Ko rridor entlang bis in die schlauchförmige Duschzelle. Dort warteten bereits die anderen Insassen. Sie alle waren nackt und standen, bedingt durch die Form der Duschzelle, mehr oder weniger in einer Reihe. Manche wippten geistesabwesend Auf und Ab, andere schmierten sich mit ihren eigenen Exkrementen ein.
Bloomquvist wurde das Hemd einfach von den Schultern gerissen und dann schubste man ihn in die Meute der Irren. Die ganze Zeit über fiel Wa sser von der Decke herab, gerade so als würde es regnen.
Bloomquvist wusch sich nur sehr notdürftig, vor allem weil er keine Seife bekam. Man befürchtete, dass sich ein Insasse damit vergiften könne. So behauptete es zumindest ein Pfleger, als Bloo mquvist einmal danach gefragt hatte.
Er rieb also lediglich seinen nackten Körper mit dem Wasser ab. Ihm blieben dazu nur wenige M inuten, denn dann zog ihn bereits eine Hand von hinten aus der Meute heraus und der nächste Insasse wurde gebracht.
Das war Waschung am Fließband.
Danach brachte man Bloomquvist wieder in seine Zelle und diesmal lag die Matratze nur noch am Boden.
„Bald erwartet dich ein Besuch“, sagte der Pfleger so nebenbei, als er Bloomquvists Zelle wieder verließ.
Die ganze Nacht über beschäftigte er sich mit der Frage, wer sein Besuch sein könnte?
Sam fuhr mich erneut durch die schneebedeckten Landschaften Skandinaviens. Auf einem kleinen Bildschirm, der zu ihrem Navigationsgerät gehörte, blinkte rhythmisch ein roter Punkt auf.
Das war mein Ziel.
Während der Fahrt hatte ich die Aufgabe bekommen, mich mit der geografischen Lage vertraut zu machen.
Es handelte sich um eine weite Ebene auf der sich nicht einmal ein paar Bäume befanden. Eine Flucht wäre hier aussichtslos. Ringsum das Lager, so vermuteten wir, befinden sich wahrscheinlich versteckte
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