Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
ganz persönlich für die Umwelt tun, mit „Müll trennen“ und „Müll sammeln“. Wobei diese Leidenschaft leider auch Leiden schafft. Denn mit der Recyclingquote steigt in der Bundesrepublik die Anzahl jener Menschen, die den Müll zwar sammeln, sich aber nicht von ihm trennen können. Haben sie vielleicht Angst, das Falsche in die richtige Tonne zu werfen? Schaffen sie es nicht rechtzeitig zum Wertstoffhof? Oder trifft hier deutsche Gründlichkeit auf deutsche Sammelwut, getreu dem Motto: Wenn wir etwas machen, dann richtig?
Fakt ist: Die eine oder andere deutsche Wohnung könnte einer mittelgroßen Müllverbrennungsanlage Konkurrenz machen. Etwa die des Herren, der in zwei Zimmern dreißigtausend Zeitungen gelagert hatte, jede einzelne im Computer erfasst. Vorbildlich! Oder die Vier-Zimmer-Bude einer siebzigjährigen Dame, die dort zwölf Tonnen Müll angesammelt hatte. Wenigstens nicht in der falschen Tonne!
Nicht untypisch auch der Fall eines meiner früheren Nachbarn, bei dem die Polizei unter anderem 200 benutzte Windeln fand. In welche Tonne hätten Sie die entsorgt? Biotonne? Restmülltonne? Oder doch gelber Sack? Sehen Sie! Bevor man da etwas falsch macht und die gebeutelte Umwelt unwiederbringlich schädigt, ist es besser, das ganze Zeug erst einmal für sich zu behalten.
Interessanterweise schätzen die Experten der Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit, dass etwa zwei Prozent der Deutschen unter „Unordnung, Durcheinander und Desorganisation im Alltagsleben“ leiden. Die spannende Frage: Sind das jetzt die zwei Prozent, die sich der Mülltrennung entziehen? Es würde vieles erklären.
Aber leider nicht alles. Denn unser Umgang mit Abfall hat längst die Sphäre des Privaten verlassen. In aller Öffentlichkeit müssen die Menschen in diesem Land beweisen, dass sie verantwortungsvoll mit Müll umzugehen wissen. Zum Beispiel am Bahnhof, wo sich jeden Tag hunderte Szenen wie jene abspielen, die ich Ihnen zum Abschluss dieses so wichtigen Kapitels erzählen will.
Ein Reisender hetzt zum Bahnsteig, das Ticket in der einen, die leere Pizzaverpackung in der anderen Hand. Noch 120 Sekunden, bis sein Zug geht. Viel für einen Messie (der würde die Packung mit nach Hause nehmen), wenig für unseren Protagonisten.
Er stoppt vor dem großen, silbernen Müllbehälter und geht hektisch um ihn herum. Papier, Verpackungen, Glas, Restmüll – für welches der vier Fächer soll er sich entscheiden? Nur eines kann unser Mann sicher ausschließen: Glas. Bleiben drei. Für Verpackung würde sprechen, dass es ja eine Pizza verpackung ist, für Papier der zugrunde liegende Rohstoff. Aber wird das Teil durch die Pizzareste nicht automatisch zu Restmüll?
Noch 20 Sekunden. Wenn er doch nur jemanden anrufen könnte! 15. Die Türen des Zuges schließen sich. 10 Sekunden … 5 Sekunden … Unser Mann entscheidet sich für Papier. Zu spät! Der Zug fährt ohne ihn, weil er fast eine weitere halbe Minute braucht, um den Karton durch die viel zu schmale Öffnung zu drücken.
Wenigstens hatte er dadurch eine Stunde mehr Zeit, darüber nachzudenken, was er am Zielbahnhof mit der dann abgelaufenen Fahrkarte machen sollte. Eine Fahrkarte ist beschichtet, und beschichtetes Papier darf man doch nicht so einfach zu normalem …?
Oder doch?
Zurückgeben, bitte!
Um Müll gar nicht erst entstehen zu lassen, haben wir Deutschen das wahrscheinlich ausgeklügeltste Mehrwegsystem der Welt. Vor allem dem ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat die Nation es zu verdanken, dass Flaschen und Dosen selbst dann etwas wert sind, wenn sie leer sind. Das ist der Hauptgrund, warum wir neben den oben hoffentlich hinreichend beschriebenen Müllsorten auch Leergut sammeln. Was daheim gerade noch so geht, weil man irgendwo im Keller oder auf dem Dachboden immer ein Plätzchen findet.
In Büroräumen hingegen wird das deutlich schwieriger. Einerseits werden Arbeitsmediziner nicht müde, auf die Bedeutung ausreichender Flüssigkeitszufuhr im Job hinzuweisen. Andererseits kommen die wenigsten Unternehmen ihrer Pflicht nach und stellen Raum für das dadurch produzierte Leergut zur Verfügung. Dem passionierten (Wasser-)Trinker bleibt meist nichts anderes übrig, als wertvollen Schrankplatz für olle PET-Flaschen zu opfern, wenn er nicht jeden Tag in der viel zu kurzen Mittagspause zum nächsten Supermarkt laufen will. Damit erklärt sich im Übrigen, warum viele deutsche Arbeitnehmer hinter den Aktenbergen auf ihren
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