Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Schreibtischen kaum zu sehen sind. Das deutsche Pfandsystem ist schuld, denn das Leergut lässt dem Aktenordner keinen Schrankplatz mehr.
Einmal habe ich den Test bei Herrn Müller-Hohenstein gemacht, dessen Papierstapel größer und schiefer gewachsen waren als die Yuccapalme unserer Sekretärin. Und siehe da: In seinem Schrank fand ich Mineralwasserflaschen im Gegenwert eines durchschnittlichen Weihnachtsgelds. Herr Müller-Hohenstein nannte die Sammlung peinlich berührt seine „stille Reserve“. Man wisse ja nie, bei der wirtschaftlichen Lage und so …
Ich überschlug im Kopf, wie lange er wohl brauchen würde, um die Flaschen in den Automaten im Supermarkt zu stecken, eine nach der anderen, und kam auf gut zwei Tage – vorausgesetzt, die Maschine würde jedes Etikett sofort erkennen. Was diese Maschinen normalerweise nicht tun. Aber wem sage ich das? Sie alle werden schon einmal kopfschüttelnd davorgestanden haben, während das Gerät eine Dose ausspuckte, die Sie vor genau zwei Tagen in genau diesem Laden gekauft haben. Stimmt’s?
Richtig schlimm wird es am Automaten, wenn man als halbwegs normaler Flaschensammler hinter einem Profi steht. Ja, in Deutschland, einem der reichsten Länder dieser Erde, gibt es Menschen, die mehr oder weniger von Flaschenpfand leben beziehungsweise leben müssen. Sie können einem leidtun, die Männer und Frauen mit den kleinen Taschenlampen, mit denen sich sogar Bahnmülleimer gut ausleuchten lassen, und den großen IKEA-Tüten.
Spätestens seit Trittins Dosengesetz haben sie die großen Städte endgültig unter sich aufgeteilt. Die Mächtigen beherrschen die Gebiete rund um die Bahnhöfe, die Emporkömmlinge arbeiten sich im Umfeld der Einkaufszentren ab. Die Könige des Leerguts sind all jene, die sich rund um Fußballstadien selbstständig gemacht haben. Ich persönlich werde das Gefühl nicht los, dass wir das Flaschenverbot bei Bundesligaspielen vor allem der Pfandmafia zu verdanken haben. Ist sie es nicht auch, die am stärksten von den strengen Flüssigkeitsvorschriften an Flughäfen profitiert?
Denken Sie einmal darüber nach und machen Sie sich dabei ruhigen Gewissens eine Dose Bier auf. Ja, es gibt sie noch, die kleinen Büchsen, ein deutsches Symbol sind sie sowieso geblieben. Zwar brachen die Umsätze der Dosenhersteller nach der Einführung des Dosenpfands innerhalb kürzester Zeit um 95 Prozent ein, doch die Firmen schalteten fast genauso schnell auf den Export um. Das Ergebnis: Heute werden nur in Großbritannien mehr Dosen produziert als in Deutschland, und in den Regalen der großen Supermarktketten stehen sie sowieso längst wieder.
Ihr Comeback hat indirekt auch mit Jürgen Trittin zu tun. Dank seines Gesetzes ist die Recyclingquote, und nur die zählt in der Müllverwertungsrepublik, nämlich auf unglaubliche 96 Prozent gestiegen. Damit kann die Dose es locker mit jenen Mehrwegflaschen aufnehmen, die bis zu 300 Kilometer durchs Land gefahren werden, nur um vier Mal gereinigt zu werden.
Deutschlands Perlen
Nach der Lektüre der bisherigen Kapitel könnte man vielleicht denken, dass wir Deutschen tatsächlich ein sauberes Volk sind, wie es uns seit Jahrzehnten nachgesagt wird: gründlich, pünktlich, reinlich, ordentlich, deutsch. Das klingt wenig liebenswert, wäre aber auch nichts, wofür wir uns schämen müssten – wenn es denn stimmen würde. Tut es aber nicht, und ein aufklärerisches Buch wie dieses muss den Mut haben, das offen anzusprechen.
Beginnen wir mit der Sauberkeit. Natürlich wäre es unredlich bis falsch, deutschen Haushalten eine gewisse Gepflegtheit abzusprechen. Die meisten Wohnstuben sind heute beinahe so heimelig wie in den Wirtschaftswunderjahren. Schränke werden regelmäßig ausgewischt, Teppiche geklopft und Klobürsten alle halbe Jahre gewechselt. Die Bewohner selbst haben damit allerdings in der Regel wenig zu tun. Die angeblich so sauberen Deutschen beschäftigen für die Reinlichkeit ihrer vier Wände ein unsichtbares Heer von Putzfrauen, die mehrheitlich aus dem Ausland stammen. Unsichtbar deshalb, weil sich die meisten in keiner offiziellen Statistik finden lassen und ihre kargen Stundenlöhne sauber am Finanzamt vorbei erhalten.
So detailverliebt und oberkorrekt die Deutschen beim Mülltrennen sind, so wenig genau nehmen sie es mit der Bezahlung sogenannter haushaltsnaher Dienstleistungen. Es ist leichter, ein Stück Papier in der Restmülltonne zu finden als eine Putzhilfe, die auf Rechnung arbeitet. Überhaupt
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