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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannik Mahr
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werden sich vielleicht erinnern: Die Bahn war früher einmal das Ebenbild deutscher Pünktlich-, Sauber- und Gründlichkeit. Schaffner waren Respektspersonen, und wehe dem, der auf den gefürchteten „Die Fahrkarten bitte!“-Appell nicht sofort reagierte. Er musste damit rechnen, an der nächsten Station ausgesetzt zu werden. Das passiert heute nur in Ausnahmefällen, etwa wenn ein kleines Mädchen vergessen hat, eine Fahrkarte zu kaufen. Es wird dem Kind sicher eine Lehre sein, wenn es mutterseelenallein am frühen Abend auf einem fremden Bahnsteig steht und dem am Horizont verschwindenden Zug nachsieht. Früh übt sich, wer ein ordentlicher Fahrgast werden will!
    Wir Deutschen hatten also Respekt zu und Vertrauen in unsere Bahn und könnten bis heute über den einen oder anderen missgelaunten Schaffner hinwegsehen. Wenn da nicht dieses Tarifsystem wäre, das in seiner Komplexität und Unverständlichkeit einzig vom deutschen Steuerrecht übertroffen wird. Und die Zugtoiletten, die entweder gesperrt oder defekt oder dreckig oder alles zusammen sind. Und das Licht, das mal geht und mal nicht. Und ausgefallene Reservierungsanzeigen, nicht zu öffnende Türen, Ersatzzüge, geschlossene Bordbistros, kaputte Heizungen, stotternde Klimaanlagen …
    Es ließen sich lange Bücher über das zerrüttete Verhältnis der Deutschen zur Bahn schreiben, und die, die es gibt, sind Bestseller. Senk ju vor träwelling ist so eines, in dem es unter anderem, der Titel deutet es an, um die Fremdsprachenkenntnisse der Bahnmitarbeiter geht. Inzwischen sind deren englische Durchsagen das Einzige, was an einer Fahrt manchmal so richtig Spaß macht. Herrlich, wenn das „th“ klingt, als hätte der Durchsagende ein Büschel Haare im Mund, wunderbar, wenn aus „three“ „tree“ wird.
    Wer denkt, die Damen und Herren könnten es nicht besser, irrt übrigens: Das falsche Englisch gehört selbstverständlich zur „Alles wird gut“-Strategie des Konzerns. Die Idee dahinter: Je mehr Schwierigkeiten ausländische Fahrgäste haben, die Hinweise zu den nächsten Bahnhöfen und die Umsteigemöglichkeiten zu verstehen, desto eher überhören sie, dass ihr ICE/IC/Regionalexpress nie rechtzeitig ankommen wird. Ein geschickter Zug!
    Weniger klug war es, dass die Bahn sich anno 1966 für den Werbeslogan „Alle reden vom Wetter – Wir nicht.“ entschied. Damals konnten die Verantwortlichen natürlich nicht ahnen, dass die größten Widersacher des Unternehmens in Zukunft nicht mehr das Auto und das Flugzeug, sondern die Jahreszeiten sein würden. Genauer gesagt: Sommer und Winter. Wer wäre allen Ernstes auf die Idee gekommen, dass Hitze und Kälte, also zwei nicht unbedingt seltene Wetterphänomene, der Deutschen Bahn den Garaus machen würden? Taten sie aber.
    Besonders betroffen waren jene 27 Menschen, die im kurzen, heißen Sommer 2010 auf der Strecke zwischen Hannover und Bielefeld unterwegs waren: Sie kollabierten, weil die Klimaanlage ausgefallen war. Insgesamt wurden in wenigen Wochen 23000 Hitzeopfer der Deutschen Bahn registriert. Selbst die Anzeigetafeln in den Bahnhöfen gerieten an ihre Belastungsgrenze. Neben den obligatorischen Verspätungen, Betriebsstörungen und fehlenden Zugteilen mussten sie jetzt auch noch anzeigen, in welchen Wagen die Klimaanlagen nicht funktionierten. Im günstigsten Fall ließen sich dort auch gleich die Türen nicht öffnen …
    Und als hätte die Bahn gewusst, dass ich wenige Monate später mit den Arbeiten an diesem Buch beginnen würde, spendierte sie auch mir eine Hitzefahrt.
    Ich kam aus Köln und hatte mit großer Mühe ein Abteil gefunden, in dem es nicht ganz so warm war – zumindest im Vergleich zu den anderen. Als die Zugbegleiterin erschien und mein Gegenüber sich über die unerträglichen Temperaturen beschwerte, sagte sie nur: „Sie müssten mal in einem der anderen Wagen sein. Dagegen ist das hier ein Kühlhaus.“
    Wir fühlten uns privilegiert, zogen Sakkos und Schuhe aus, tranken die mitgebrachten Getränke und hatten die Hoffnung, mit einer kaum nennenswerten Verspätung von 20 Minuten in Hamburg anzukommen. Bis, ja bis der Zug genau zwischen zwei Bahnhöfen stehen blieb und dann der Rest der Klimaanlage auch noch ausfiel. Draußen waren 34 Grad, drinnen bald mehr. Selbstverständlich waren die Kaltgetränke im Bistro ausverkauft, und selbstverständlich war es strengstens verboten, eine der Türen zu öffnen. Als mein Nachbar zur Vorbeugung eines drohenden Erstickungsanfalls

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