Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Arbeitstieren, wenn es etwa um ihren Schützenverein geht (wobei ich mir bis heute nicht vorstellen kann, dass Herr Müller-Hohenstein dort nicht nur zweiter Kassenprüfer, sondern auch ehemaliger Leiter der Trachtenabteilung und Jugendschützenkönig gewesen ist).
Nun sind Schützen-, Trachten- oder Männergesangsvereine im 21. Jahrhundert vielleicht nicht die besten Beispiele, um die Bedeutung des Vereinswesens für den Deutschen zu beweisen. Schließlich klagen alle drei Klubgattungen über Nachwuchsmangel, und trotz einer Jugend im „Deutschland sucht den Superstar“-Rausch wird es selbst bei den Männergesangsvereinen nicht besser.
Doch auch ohne die Traditionalisten unter den Vereinsmeiern wäre das System so stark wie nie. Seit dem Jahr 2001 ist die Zahl der Vereine in Deutschland um fast 50000 gestiegen. Natürlich gibt es längst den „Bundesverband Deutscher Vereine und Verbände e. V.“, und es ist damit zu rechnen, dass der sofort Mitglied eines Vereins der Bundesverbände Deutscher Vereine und Verbände wird, wenn dieser gegründet werden sollte. Um den Vorsitz möchte ich mich hiermit schon einmal bewerben.
Selbst Dinge, die andere Völker einfach so in ihrer Freizeit machen, werden in Deutschland in e. V.-Form gebracht. Das Lachen etwa, weltweit eine relativ alltägliche Tätigkeit, hat hierzulande seine Heimat in verschiedenen, darauf spezialisierten „Lachklubs“ gefunden. Lange Menschen haben sich im „Verein langer Menschen“, kleine Menschen im „Verein kleiner Menschen“ zusammengeschlossen. Und kleine Münsterländer? Haben natürlich auch einen eigenen e. V., keine Sorge. Die „Interessengemeinschaft Schnitzel“ zieht von Restaurant zu Restaurant, um die Qualität platt gehauener Fleischlappen zu testen, im Kieler „Hockstar Verein“ werden allen Ernstes Hocker durch die Luft geschleudert. Fahnenschwinger haben in Deutschland ebenso eine Satzung wie Bratwurst- und Sandmuseum-Betreiber, die Arbeitsgemeinschaft Aroniabeere und diskriminierte Raucher. Im „Bartclub Sigmaringen“ sind die Männer nach eigenen Angaben „ein Haar besser“, und die „Liebhaber des deutschen Spitzes e. V.“ erfreuen unter anderem mit den schönsten Geschichten über ihre unterschätzten und von der Presse oft zu Unrecht geschmähten Tiere.
Womit wir nahtlos beim Thema des nächsten Kapitels wären.
Der will nur spielen
Wenn man einen Hundehalter mitten in einer großen deutschen Stadt dabei beobachtet, wie er Hasso, Rex, Bello und Arco in aller Ruhe ein veritables Häufchen direkt vor den Eingang des großen Modehauses setzen lässt, um die Hinterlassenschaft anschließend mit dem mitgebrachten Kackili-Säckchen aufzusammeln, könnte man wirklich denken, dass die Deutschen nichts so lieben wie ihre Hunde.
Aber das ist falsch.
Ja, die rund fünf Millionen Hundebesitzer geben laut Verband für das Deutsche Hundewesen jedes Jahr rund fünf Milliarden Euro für ihre Tiere aus, und viele von ihnen sehen ihren Hunden mit der Zeit ähnlicher als den eigenen Kindern. Und tatsächlich sieht man in kaum einem anderen Land so viele Herrchen und Frauchen an Leinen spazieren gehen. Daraus zu schließen, die Deutschen wären auf den Hund gekommen, würde aber zu weit führen. Erstens, weil die Metapher gar nichts mit Tieren zu tun hat, sondern für Armut und sozialen Abstieg steht – zwei Dinge, die man den meisten Hundehaltern nicht nachsagen kann. Zweitens, weil das Lieblingshaustier der Deutschen eben nicht der Hund, sondern die Katze ist. Das Verhältnis beträgt gerundet fünf zu acht Millionen, und wenn man Meerschweinchen, Kaninchen, Hamster und Mäuse zur Gruppe der Kleintiere zusammenfasst, liegen selbst die mit 5,6 Millionen Exemplaren noch vor dem Hund. [12]
Überhaupt gehen bei kaum einem deutschen Thema Wahrnehmung und Wirklichkeit derart auseinander. Wer sich heute in Stadtvierteln mit vielen Kindern und Familien umsieht, könnte den Eindruck gewinnen, dass die Menschen hierzulande fast ausschließlich Golden Retriever und hin und wieder einen Collie halten. Tatsächlich ist und bleibt aber der deutsche Schäferhund, dieses Klischee auf vier Beinen, die Nummer eins. [13] Es soll Tierliebhaber geben, die ihn das „4711 unter den Hunden“ nennen, weil er wie Kölnischwasser von zeitloser Schönheit beziehungsweise Aufdringlichkeit ist. Auf Platz zwei folgt übrigens der Dackel.
Schwierig zusammenzubekommen sind auch die Hundebegeisterung auf der einen Seite und die chronisch
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