Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Deutschen zu begrenzen, ist grandios gescheitert. Nach der Einführung der Praxisgebühr sank die Zahl der sogenannten Patientenkontakte nur für eine kurze Zeit, inzwischen ist sie wieder gestiegen. Die Bundesbürger mögen beim Einkaufen, bei der Ernährung ihrer Kinder und bei der Steuererklärung aufs Geld achten. Aber wenn es um ihre Gesundheit geht, tun sie es nicht.
Sowieso ist mehr als die Hälfte aus unterschiedlichsten Gründen von der Zahlung der Praxisgebühr befreit, und richtig krank ist nur das deutsche Gesundheitssystem. Wie sonst lässt sich erklären, dass alle Beteiligten damit unzufrieden sind? Die Beitragszahler klagen, dass ihnen zu viel Geld abgeknöpft wird, und die Ärzte, dass sie zu wenig verdienen (Zahnärzte einmal ausgenommen). Vielleicht liegen darin auch die Gründe für die vielen gegenseitigen Besuche: Die Ärzte bestellen die Patienten öfter ein, gerade beim Übergang von einem Quartal zum nächsten, um ihren Umsatz zu erhöhen. Die Patienten kommen gern, weil die Krankenkassen ihnen das Geld so oder so vom Gehalt abziehen lassen. Das Ganze erinnert ans Telefonieren: Wenn man eine Flatrate hat, achtet man auch nicht mehr darauf, wen man wie oft anruft.
Einzige Ausnahme, und damit ist das Chaos komplett, sind die Privatpatienten. Die erhalten von ihren Kassen gern Prämien, wenn sie möglichst wenig zum Arzt gehen. Das wiederum ist nicht im Interesse der Praxen, weil die nur an den Privatzahlern richtig verdienen. Kleines Beispiel: Meine Frau, Kassenpatientin, zahlt für eine professionelle Zahnreinigung etwa 60 Euro, ich, privat versichert, rund 140. Die Behandlung ist identisch, und der größte Witz an der Sache ist, dass meine Frau ihre auch noch privat bezahlt.
Das verstehen Sie nicht? Dann sollten Sie selbst Privatpatient werden. Sie müssen zwar weiter horrende Beiträge zahlen, für die ihre staatliche Rente später kaum ausreichen wird. Dafür kommen Sie bei fast allen Ärzten der Republik sofort dran, ob mit Termin oder ohne, sitzen länger im Sprechzimmer als die Kassenpatienten im Warteraum und dürfen garantiert als einer der ersten die neuen, teuren Diagnosegeräte ausprobieren. Das Beste aber ist, dass Sie nach jedem Arztbesuch genau erfahren, was Herr oder Frau Doktor mit Ihnen gemacht hat und was es kostet. Das erlaubt Einblicke in unser einmaliges Gesundheitssystem, die den gesetzlich Versicherten direkt in die nächste psychiatrische Praxis treiben würden – wenn man dort einen Termin für ihn hätte.
Mein schönstes Erlebnis war, als ich an ein und demselben Tag die Rechnung meines Haut- und meines Zahnarztes bekam. Der Hautarzt hatte mich eine halbe Stunde über das Für und Wider einer kosmetischen Entfernung zweier Leberflecke beraten, genaue Untersuchung inklusive, und dafür 23,45 Euro berechnet. Der Zahnarzt, bei dessen Sprechstundenhilfe ich eigentlich nur zur Zahnreinigung angemeldet war, hatte im Wesentlichen „Hallo“ gesagt und ein paar Sekunden in meinen Mund gestarrt, „wo ich schon mal da bin“. Das Ergebnis: 84,95 Euro.
Man gönnt sich ja sonst nichts.
Vereintes Deutschland
Die Bundesrepublik Deutschland hätte sich den Zusatz „e. V.“ verdient, denn sie erfüllt längst die Kriterien, die ein eingetragener Verein bei uns erfüllen muss: Ihre Arbeit ist nicht gewinnorientiert, eher im Gegenteil. Sie dient in einem erschreckend hohen Maße gemeinnützigen Zwecken, hat mit dem Grundgesetz eine hinreichende Satzung und einen Vorstand, der sich brav einmal in der Woche zu einer Sitzung trifft. Dessen Arbeit könnte man sogar als ehrenamtlich durchgehen lassen, wenn man die Aufwandsentschädigungen der Mitglieder mit den Gehältern vergleicht, die für ähnliche Funktionen in der Wirtschaft bezahlt werden. Trotzdem stellt ausgerechnet die Bundesrepublik die einzige deutsche Organisation mit mehr als sieben Personen dar, die kein Verein ist.
Angesichts von 594277 eingetragenen Klubs und Vereinen wird es höchste Zeit, dass sich das ändert, und sei es nur, damit der Allgemeine Deutsche Automobilclub mit seinen 16 Millionen Mitgliedern nicht mehr die Nummer eins ist. [11] Im Ernst: Das Vertrauen der Menschen in die Republik dürfte deutlich steigen, wenn diese nicht in erster Linie als föderatives Staatswesen, sondern als e. V. organisiert wäre.
Vereine kennen die Deutschen seit Jahrhunderten, Vereine lieben sie bis heute. Selbst an sich eher phlegmatische Menschen wie Herr Müller-Hohenstein werden zu engagierten, unermüdlichen
Weitere Kostenlose Bücher