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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannik Mahr
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Spethmann-Berssenbrügge auf den Schreibtisch. Leider ist Herr Müller-Hohenstein nicht hingegangen. Wer weiß, ob er nicht einen weiteren Anlauf beim Bundesverfassungsgericht genommen hätte, wenn es mit den beiden was geworden wäre. Herr Müller-Hohenstein hätte als Bundesbürger mit der längsten Vor-Nachnamen-Kombination in die Geschichte eingehen können.
    2009 hat das eine Zahnärztin aus Bayern probiert. Als würden Namensketten wie Rammelt-Gmeiner, Fröhlich-Wichser, Vogel-Schwarm oder Blume-Baum nicht ausreichen, wollte sie künftig Frieda Rosemarie Thalheim-Kurz-Hallstein heißen. Das mache sich gut auf dem Praxisschild und sei wichtig für ihren wirtschaftlichen Erfolg, trug sie vor. Weil unter den acht Richtern am Verfassungsgericht eine Frau Hohmann-Dennhardt saß, sah es kurz so aus, als könnte die Ärztin die Begrenzung von Namensketten aus der deutschen Gesetzgebung reißen wie einen kariösen Zahn aus dem Mund eines Patienten.
    Am Ende reichte es doch nicht. Fünf Richter stimmten dagegen, mit der Begründung, dass zwei Namen ausreichen würden, um Identität und Persönlichkeit des Trägers auszudrücken. So bleibt der Bundesrepublik Deutschland wenigstens der Dreier-Gau erspart und der Hamburger Thilo von Samson-Himmelstjerna auf absehbare Zeit wahrscheinlich der Zahnarzt mit dem am dichtesten beschriebenen Praxisschild.
    Außerdem liegt sowieso in der Kürze die Würze. Deshalb ist auch Angela Merkel die erste Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland geworden und nicht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Und hat sich Thorsten Schäfer-Gümpel bei der Landtagswahl in Hessen durchsetzen können? Eben!
    Normal, ja fast schon gewöhnlich sind sie heute trotzdem, die früheren Markenzeichen von Hardcore-Emanzen und Sozialpädagogen. Und Klaus-Jürgen Müller-Hohenstein ist bestimmt auch noch stolz darauf, dass sein Name in der Telefonliste unserer Firma alle anderen der Länge nach schlägt.
    Bleibt nur zu hoffen, dass das Techtelmechtel zwischen unserem Buchhalter, Herrn Heil, und der Assistentin unseres Vorstandschefs keine ernsthaften Folgen hat. Die schöne Sabine heißt nämlich mit Nachnamen Sieg.

Du oder Sie?

    Bei der Arbeit an diesem Buch erlebte ich mehrere peinliche Situationen, aber die mit Abstand peinlichste trug sich mit meiner Literaturagentin zu.
    Ich hätte einiges dafür gegeben, ihr zum ersten Mal in ihrem Heimatland und nicht in Deutschland zu begegnen. Nina Arrowsmith stammt nämlich aus den USA, und wenn wir uns dort getroffen hätten, wäre alles ganz einfach gewesen. „How are you, Yannik?“, hätte sie gesagt, und ich hätte geantwortet: „Nice to meet you, Nina.“
    Doch Hamburg ist nicht New York, und so verlief der erste Dialog wie folgt: „Schön Sie kennenzulernen, Herr Mahr.“
    „Ich freue mich auch, dass Sie heute Zeit für mich haben, Frau Arrowsmith.“
    Wie es sich in Deutschland gehört, redeten wir uns also artig mit Nachnamen und Sie an, obwohl zumindest ich davon ausging, dass wir ungefähr gleich alt waren. Trotzdem sollte es exakt zwei Monate und vier Tage dauern, bis aus dem „Sie“ ein „Du“ wurde, und das war nicht einmal mein Verdienst. Ich hätte sie gern früher gefragt, traute mich aber nicht. Es war alles so kompliziert: Durfte ich ihr überhaupt das Du anbieten, obwohl sie die Frau war? Oder galt die Regel, dass der Ältere die Jüngere fragt? Wenn ja, war ich überhaupt älter als sie? Wir hatten nie darüber gesprochen, weil sich das schließlich auch nicht gehört. Und ist es nicht überhaupt besser, in Geschäftsbeziehungen beim Sie zu bleiben?
    Ich dachte so lange darüber nach, bis es zu spät war.
    „Was halten Sie eigentlich davon, Herr Mahr, wenn wir Du zueinander sagen?“, fragte mich Nina Arrowsmith nach den besagten zwei Monaten und vier Tagen.
    Ich wurde rot. „Das ist eine sehr gute Idee. Ich wollte Sie längst selbst gefragt haben, aber ich war mir nicht sicher, weil …“, ich geriet ins Stottern, „… weil es in Deutschland doch üblich ist, dass der Ältere den Jüngeren fragt, und ich …“, stotter, „… nicht genau wusste, wer von uns beiden …“
    „Also, ich bin dreißig, und du?“, sagte Nina Arrowsmith.
    Ich war gerade vierzig geworden und hatte jetzt ein Problem, das durch das weitere Gestammel nicht gerade kleiner wurde.
    „Du … du … bist erst dreißig? Also ich hätte dich …“ Endlich, aber natürlich viel zu spät, zog mein Kopf die Notbremse. „… Ich meine, das ist ja Wahnsinn! Du bist

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