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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannik Mahr
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schon so lange im Geschäft und so unglaublich erfolgreich, und dabei noch so jung, dass …“ Meine Farbe unterschied sich wahrscheinlich nur noch unwesentlich von der eines guten Bordeaux.
    „Ist gut. Ich bin Nina.“
    „Ich heiße Yannik.“
    Es ist nicht lange her, da hätten Mann und Frau in Deutschland nun mit einem Glas Wein oder Bier in der Hand die Arme gekreuzt, um erst auf die neue Vertrautheit anzustoßen und sich dann zu küssen. So verklemmt unser Umgang mit dieser Sie/du-Geschichte ist, so enthemmt waren wir früher, wenn sie sich dann endlich auflöste. Ich kannte in den 80er- und 90er-Jahren nicht wenige Männer, die einer Frau nur deshalb das Du anboten, weil sie es auf einen Kuss abgesehen hatten.
    Das ist zum Glück Vergangenheit, die Verunsicherung ist jedoch geblieben. Die Frage, wen wir wann und warum duzen sollten und wen lieber nicht, zieht sich durch alle Bereiche unseres Lebens. Was, wenn der Chef einen plötzlich mit Vornamen anspricht, aber weiter siezt? Darf ich dann auch Karl-Heinz sagen statt „Jawohl, Professor Dr. Riemenschneider“? Ist es respektlos, den volljährigen Sohn der Freunde weiter zu duzen, nur weil man ihn schon als Kleinkind kannte? Und was ist zu tun, wenn man jemanden (wieder)trifft, von dem man nicht mehr genau weiß, ob Sie oder Du?
    Weil ich in solchen Fällen vor einem lockeren „Wir waren doch beim Du?“ meist zurückschrecke, versuche ich, die direkte Anrede zu umgehen. Aus „Haben Sie/Hast du dich im Urlaub gut erholt?“ wird dann „Und, der Urlaub war schön?“. Statt „Wie geht es deiner/Ihrer Frau?“ heißt es dann: „Die Frau ist auch wohlauf?“
    Richtig lustig kann es in Deutschland werden, wenn die Eltern der Freundin oder des Freundes sich nach mehreren Monaten oder womöglich Jahren durchringen, vom Sie zum Du zu wechseln.
    Das ist nach unseren eigentümlichen Gebräuchen ihr gutes Recht, und dennoch gilt es zumindest eine Regel zu beachten: Bevor ein Elternteil dem Schwiegersohn oder der Schwiegertochter in spe das Du anbietet, sollte er kurz mit dem anderen Elternteil darüber gesprochen haben.
    Meine heutige Schwiegermutter hatte das offensichtlich nicht, als sie mir kurz entschlossen bei einem gemeinsamen Essen zurief: „Ach, da das mit Euch ja etwas Ernstes zu sein scheint, können wir uns ruhig duzen. Ich bin Beate!“
    „Ich bin Yannik“, sagte ich und drehte meinen Kopf erwartungsvoll zu meinem künftigen Schwiegervater. Man sah ihm an, dass er erstens überrascht und zweitens not amused war.
    „Na gut“, sagte er nur.
    Ich habe zwei Monate gebraucht, bis ich ihn zum ersten Mal Clemens genannt habe. An dem Du arbeite ich noch.

Ein medizinisches Mysterium

    Das hört sich ja gar nicht gut an: Die Deutschen rennen so häufig zum Arzt wie kein anderes Volk. 18,1 Besuche pro Jahr und Durchschnittsbürger sind einsamer Weltrekord, in dessen Nähe nicht einmal die Japaner (13,6 Besuche) kommen. Amerikaner konsultieren nur vier Mal im Jahr einen Doktor, Schweden drei Mal. [9]
    Diese Unterschiede wären zu ertragen, wenn die Deutschen im Vergleich wenigstens die Gesündesten wären. Sind sie aber nicht: Die Japaner haben eine deutlich höhere Lebenserwartung, und die Schweden sehen viel kerniger aus.
    Was bringt der Arzt-Marathon den Deutschen dann? Warum sehen niedergelassene Mediziner bei uns in der Woche ein Drittel mehr Patienten als Kollegen in vergleichbaren Ländern, und wieso suchen mehr als 40 Prozent der Bundesbürger im Jahr mindestens vier verschiedene Ärzte auf? [10]
    Das ist eines der letzten großen Mysterien der Republik. Verlässliche Studien oder seriöse Erkenntnisse gibt es nicht einmal in Ansätzen, übrigens auch, weil für entsprechende Untersuchungen das Geld fehlt. Sitzen die Deutschen so gern in Wartezimmern, weil sie dort kostenlos Zeitschriften lesen können? Ist der Arztbesuch für viele die Chance, wenigstens einmal am Tag mit einem anderen Menschen reden zu können, und sei es nur für ein paar Minuten? Holt frau sich in den Praxen der Republik nur den Gesprächsstoff für das nächste Kaffeekränzchen mit den Nachbarinnen? Und wie viel Schuld haben die Schwarzwaldklinik und Sascha Hehn an der Weißkittel-Besessenheit eines ganzen Landes?
    Das sind die Fragen, die dringend geklärt werden müssten. Stattdessen arbeiten sich Politiker, Lobbyisten und Krankenkassen an einer weiteren Gesundheitsreform ab, die entweder nie kommen oder nichts ändern wird.
    Der letzte große Versuch, die Arztbesuche der

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