Reise durch die Sonnenwelt
und, worauf Alles hinzudeuten scheint, einen rechten Winkel mit der Ekliptik bildet, so müssen die Verhältnisse jetzt ganz denen auf dem Jupiter entsprechen. Es kann auf der Erdkugel keine Jahreszeiten mehr, sondern nur noch Zonen eines ewigen Frühlings, Sommers, Herbstes und Winters geben.«
Er hätte aber ohne Zweifel auch noch hinzugefügt:
»Aber bei allen Rebenhügeln der Gascogne, welcher Ursache verdanken (?) wir diese Veränderung?«
Die sich gleichsam selbst übereilende Saison machte den Kapitän und seine Ordonnanz doch einigermaßen bedenklich. Für so viel gleichzeitige Arbeiten mußten ja die helfenden Arme fehlen, selbst wenn »die ganze Bevölkerung« der Insel aufgeboten wurde. Dazu hinderte auch die brennende Sonne ein unausgesetztes Arbeiten auf den Feldern. Jedenfalls drohte noch keine Gefahr im Verzuge. Neben den sehr reichlichen Vorräthen des Gourbi lag die Hoffnung nahe, daß bei dem jetzt ruhigen und prachtvollen Wetter ein Schiff in Sicht der Insel passiren werde. Gerade dieser Theil des Mittelländischen Meeres ist ja sehr stark besucht. Hier verkehren die Regierungsschiffe, welche den Dienst längs des Landes haben, neben Küstenfahrern von allen Nationalitäten, welche in lebhafter Verbindung mit den kleineren Seeplätzen stehen.
Ein solches Raisonnement war gewiß ganz begründet, aber aus einem oder dem anderen Grunde erschien leider kein Segel auf dem Meere, und Ben-Zouf hätte sich ganz vergeblich auf dem calcinirten Uferfelsen schmoren lassen, wenn ihm nicht ein improvisirter Sonnenschirm einigermaßen als Schutz diente.
Während dieser Zeit versuchte Kapitän Servadac, leider ziemlich vergeblich, seine alten Erinnerungen aus Colleg und Schule wieder aufzufrischen.
Er vertiefte sich in kopfzerbrechende Rechnungen, um bezüglich der neuen Verhältnisse des Erdsphäroïds in’s Reine zu kommen, aber freilich ohne besonderes Resultat. Dabei hätte er sich doch auch sagen müssen, daß neben jener Veränderung der Erdrotation um die Achse des Planeten auch dessen Bahn um die Sonne jedenfalls nicht dieselbe geblieben sein könne und sich damit die Länge des Jahres, entweder durch eine Zunahme oder durch eine Verminderung derselben, verändert zeigen müsse.
Allem Anscheine nach näherte sich die Erde der Sonne. Ihre Bahn war offenbar eine andere geworden; damit stimmte nicht nur die auffallende Erhöhung der Temperatur überein, sondern auch noch andere Erscheinungen hätten Kapitän Servadac darüber belehren müssen, daß die Erdkugel sich dem Centrum der Attraction in unserem Planetensystem nähere.
In der That maß der Durchmesser der Sonnenscheibe das Doppelte von früher, vorausgesetzt, daß man jene vor diesen außergewöhnlichen Ereignissen mit unbewaffnetem Auge betrachtete. Ein Beobachter auf der Oberfläche der Venus, d.h. in einer mittleren Entfernung von etwa 12 1 / 2 Millionen Meilen von der Sonne, hätte letztere ungefähr in derselben Größe wahrgenommen. Hieraus ließ sich folgern, daß jetzt die Erde statt durchschnittlich 20 Millionen Meilen nur noch deren 12 1 / 2 Millionen von dem Centralkörper abstehen könne. Nun wurde es von hohem Interesse, zu wissen, ob diese Entfernung nicht noch weiter abnehmen werde, in welchem Falle ja die Befürchtung entstand, daß die Erdkugel in Folge einer Störung des Gleichgewichtes zwischen den sie beherrschenden anziehenden und abstoßenden Kräften bis zur Sonnenoberfläche selbst gerissen werden könne, was natürlich ihrem totalen Untergange gleich zu achten war.
Wenn die anhaltend schönen Tage jetzt die Beobachtung des Himmelsgewölbes begünstigten, so unterstützten die nicht minder schönen Nächte Kapitän Servadac sehr wesentlich bei seinen Betrachtungen der prächtigen Sternenwelt. Fixsterne und Planeten präsentirten sich da wie Glieder eines ungeheuren Alphabetes – nur daß er dieses so wenig zu entziffern vermochte, machte ihm so manchen Kummer.
Er vertiefte sich in kopfzerbrechende Rechnungen. (S. 63)
Die Fixsterne mußten ihm selbstverständlich zwar unter denselben Größen-und relativen Entfernungsverhältnissen erscheinen. Man weiß ja, daß die Sonne, welche mit einer Schnelligkeit von 36 Millionen Meilen im Jahre nach dem Sternbilde des Hercules zueilt, noch keine bemerkenswerthen Veränderungen der scheinbaren Stellung der Fixsterne hervorgebracht hat. Dasselbe ist der Fall mit dem Arctur, der sich mit einer Geschwindigkeit von über elf Meilen in der Secunde, d.i. dreimal so schnell
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