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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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einmal bei den Ulpius ein und schlug Tamás einen Spaziergang vor; es war ein schöner
     Frühlingstag.Wir gelangten nach Óbuda hinaus und setzten uns in ein leeres Wirtshaus, unter eine Statue des heiligen Florian.
     Ich trank viel und erging mich in bitteren Worten über meinen Vater, über meine Aussichten, über die ganze schreckliche Traurigkeit
     der Jugend.
    ›Warum trinkst du so viel?‹ fragte Tamás.
    ›Weil es mir gefällt.‹
    ›Es gefällt dir, wenn dir schwindlig wird?‹
    ›Klar.‹
    ›Es gefällt dir, dich zu verlieren?‹
    ›Klar. Das ist das einzige, das mir gefällt.‹
    ›Aber dann   … verstehe ich dich nicht. Stell dir vor, was es erst für ein Genuß ist, richtig zu sterben.‹
    Das sah ich auch ein. Wenn man betrunken ist, denkt man viel logischer. Ich hatte nur einzuwenden, daß ich mich vor jeglichem
     Schmerz und jeglicher Gewaltanwendung schrecklich scheute. Ich hätte keine Lust, mich zu erhängen oder zu erschießen oder
     in die kalte Donau zu springen.
    |45| ›Ist auch nicht nötig‹, sagte Tamás. ›Ich habe hier dreißig Zehntelgramm Morphium;soviel ich weiß, reicht das für uns beide,
     obwohl man es ja auch allein nehmen kann. Ich meine, ich werde dieser Tage sowieso sterben, die Zeit ist jetzt gekommen. Aber
     wenn du mitmachen willst, um so besser. Ich will dich natürlich nicht beeinflussen. Ich sag’s einfach nur. Falls du gerade
     Lust haben solltest.‹
    ›Woher hast du das Morphium?‹
    ›Von Éva. Sie hat es dem Arzt abgebettelt, sie hat gesagt, sie könne nicht schlafen.‹
    Für uns beide war es von schicksalhafter Bedeutung, daß das Gift von Éva kam. Auch das gehörte zum Spiel, zu den krankhaften
     Spielen, die wir allerdings seit dem Auftauchen von Ervin und János einigermaßen hatten abwandeln müssen. Aber in jedem Fall
     bestand die Ekstase darin, daß wir wegen oder für Éva starben. Sie hatte das Gift gegeben, und deshalb mußte ich es auch nehmen.
     Und so geschah es.
    Ich kann dir gar nicht sagen, wie einfach und selbstverständlich es war, Selbstmord zu begehen. Ich war ja auch betrunken,
     und damals löste der Alkohol bei mir immer eine Es-ist-sowieso-alles-egal-Stimmung aus. Und an dem Nachmittag hatte er in
     mir den Dämon befreit, der, glaube ich, im tiefsten Unterbewußten eines jeden Menschen lebt, der Dämon, der einen zum Tod
     verlockt. Überleg doch, wieviel leichter und natürlicher es ist zu sterben, als am Leben zu bleiben   …«
    »Erzähl lieber weiter«, sagte Erzsi unruhig.
    »Wir bezahlten den Wein und gingen spazieren, in großer, gerührter Heiterkeit. Wir sagten einander, wie sehr wir uns geliebt
     hatten und daß diese Freundschaft das Schönste in unserem Leben gewesen war. Eine Weile saßen wir am Donau-Ufer, dort draußen
     in Óbuda, neben den Schienen, und über den Hügeln ging die Sonne unter. Und wir warteten auf die Wirkung. Vorläufig spürten
     wir nichts.
    Auf einmal kam mir das unwiderstehliche, weinerliche Bedürfnis, mich von Éva zu verabschieden. Zuerst wollte Tamás nichts
     davon hören, aber dann siegte auch in ihm das Gefühl, das ihn mit |46| Éva verband. Wir nahmen die Straßenbahn und rannten dann über die Treppen auf die Burg hinauf.
    Heute weiß ich, daß ich in dem Augenblick, da ich Éva sehen wollte, Tamás und den Selbstmord schon verraten hatte. Unbewußt
     rechnete ich damit,daß wir irgendwie gerettet würden,wenn wir unter die Menschen zurückgingen. Im Grunde hatte ich keine Lust
     zu sterben. Ich war todmüde, so müde, wie man es nur mit zwanzig sein kann, und auch ich sehnte mich nach der geheimnisvollen
     dunklen Wonne des Sterbens, doch sobald sich das vom Wein verursachte Untergangsgefühl etwas verflüchtigt hatte, mochte ich
     irgendwie nicht mehr recht   …
    Im Ulpius-Haus saßen Ervin und János. Ich teilte ihnen fröhlich mit, wir hätten je fünfzehn Zehntelgramm Morphium genommen
     und würden binnen kurzem sterben, vorher aber wollten wir uns noch verabschieden.Tamás war schon ganz bleich und schwankte,
     mir sah man nur an, daß ich viel getrunken hatte. János stürzte zum Telephon und rief die Ambulanz, wobei er meldete, da seien
     zwei junge Männer, die je fünfzehn Zehntelgramm Morphium genommen hätten.
    ›Leben sie noch?‹ fragten die vom Notfalldienst.
    János bejahte, worauf man ihm sagte, wir sollten sofort kommen. Ervin und János steckten uns in ein Taxi und fuhren mit uns
     in die Markóstraße. Ich spürte immer noch nichts.
    Um so mehr spürte

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