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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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seinem Bewußtsein auf, er wußte nur, daß es kein Zurück gab. Die vielen
     ihn verfolgenden Personen und Dinge, die Jahre und die Institutionen, wurden in seinem zu Visionen neigenden Hirn zu konkreten
     Ungeheuern, die väterliche Fabrik sah er als riesiges, zum Schlag erhobenes Stahlrohr, aber er vermochte auch sein eigenes
     Altwerden zu sehen, die langsamen, aber sichtbaren Vorgänge in seinem Körper, er sah seine Haut verschrumpeln, im Tempo des
     großen Zeigers einer Uhr. Das waren bereits die Symptome eines Nervenfiebers.
    Später stellten die Ärzte fest,daß das Nervenfieber von Erschöpfung verursacht war. Kein Wunder, schließlich hatte sich Mihály
     fünfzehn Jahre lang überanstrengt. Damit, daß er versuchte, anders zu sein,als er war,daß er nie nach seinen eigenen Neigungen
     lebte, sondern so, wie man es von ihm erwartete. Seine letzte und heldenhafteste Anstrengung war die Heirat gewesen. Danach
     führten die Aufregungen der Reise und der wundersame Lockerungsprozeß, den die italienische Landschaft in ihm auslöste, sowie
     die Tatsache, daß er praktisch die ganze Zeit trank und sich nie ausschlief, den Zusammenbruch herbei. Und vor allem: Solange
     man in Bewegung ist,merkt man nicht,wie müde man ist,sondern erst, wenn man sich hinsetzt. Auch über Mihály war die in den
     vergangenen fünfzehn Jahren aufgestaute Müdigkeit erst gekommen, als |82| er in Terontola willenlos, aber nicht unabsichtlich den falschen Zug genommen hatte, den Zug, der ihn von Erzsi immer weiter
     entfernte, auf das Alleinsein und Bei-sich-selbst-Sein zu.
    An einem der Abende gelangte er zu einer größeren Ortschaft. Zu dem Zeitpunkt war er schon in einem so irrealen Seelenzustand,
     daß er sich nach dem Namen der Stadt gar nicht mehr erkundigte, um so weniger, als er am Mittag desselben Tags festgestellt
     hatte, daß ihm kein einziges italienisches Wort einfiel. So brauchen auch wir den Namen des Städtchens nicht zu notieren.
     Auf der Piazza stand ein ganz nett aussehender Albergo, da kehrte er ein und aß mit gutem, normalem Appetit zu Abend, Gnocchi
     mit Tomatensauce, Ziegenkäse aus der Gegend, Orangen und Weißwein. Doch als er zahlen wollte, kam es ihm so vor, als betrachte
     ihn die Wirtstochter mißtrauisch und flüstere mit den beiden Leuten, die außer ihm noch im Saal saßen. Sofort rannte er weg
     und streifte unruhig durch eine Art Macchia auf den Hängen hinter der Stadt, doch wegen des starken Winds konnte er da nicht
     bleiben, und so stieg er über einen Steilhang hinunter.
    Er gelangte in ein tiefes Tal, wie ein Brunnen war es, und hier wehte der Wind zwar nicht, aber das Gelände war so eng und
     dunkel und öde, daß er nicht erstaunt gewesen wäre, wenn er auf menschliches Gebein und dazwischen auf eine Königskrone oder
     sonst auf ein blutbeflecktes Symbol vergangener Macht und alter Tragödie gestoßen wäre. Schon in seinem normalen Seelenzustand
     war er für die Stimmung von Landschaften äußerst empfänglich, und jetzt war er es noch zehnmal mehr. Er rannte entsetzt aus
     dem Tal hinaus, schon mehr oder weniger erschöpft. Eine leichte Steigung führte auf einen kleinen Hügel. Oben angekommen,
     blieb er an einem niedrigen Mäuerchen stehen. Hier schien die Gegend lieblich und einladend. Er kletterte über das Mäuerchen,
     und soweit er im schwachen Licht der Sterne sehen konnte, befand er sich in einem Garten mit schönen Zypressen. Ein kleiner
     Erdhaufen zu seinen Füßen bot sich als natürliches Kissen an. Er legte sich hin und schlief sofort ein.
    Später wurde das Sternenlicht viel stärker, so stark, als wäre das Himmelsgewölbe von einer ungewohnten Unruhe ergriffen,
     und |83| Mihály erwachte. Er richtete sich auf und blickte in dem ungeheuren Sternenlicht unsicher um sich. Hinter einer Zypresse trat
     Tamás hervor, bleich und schlecht gelaunt.
    »Ich muß nach Hause«, sagte er, »ich kann in diesem wahnsinnigen Licht nicht schlafen.« Darauf ging er weg, und Mihály wollte
     ihm nachlaufen, konnte aber nicht aufstehen, so sehr er es auch versuchte.
    In der Morgenfrühe wachte er auf, es war kalt und schon fast hell, und er blickte in dem Garten schläfrig um sich. Unter den
     Zypressen standen allerlei Kreuze: Er war auf den Camposanto geraten, den Friedhof des Städtchens. Das wäre an sich zwar noch
     nichts Schreckliches gewesen; die Städte der italienischen Toten sind vielleicht noch freundlicher und einladender als die
     der Lebenden, sowohl tagsüber als

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