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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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man es
     im Traum oft tut. Mihály legte sich beklommen in das zweifelhaft saubere Bett, er schlief nicht viel, Schlaf, halbwacher Zustand
     und benommenes Wachsein vereinheitlichten sich zu dem Gefühl, daß man ihm auf den Fersen war.
    Am frühen Morgen stand er auf, schlich hinunter, trommelte nach langem Kampf den Wirt heraus, bezahlte die Rechnung, bekam
     seinen Paß zurück und lief zum Bahnhof. Ein schläfriges Fräulein machte ihm an der Bar einen Kaffee, nach einer Weile trafen
     schläfrige italienische Arbeiter ein. Mihálys Beklommenheit wollte nicht aufhören. Dauernd fürchtete er, erwischt zu werden,
     jede nach Soldat oder Polizist aussehende Erscheinung war ihm suspekt, die ganze Zeit, bis endlich der Zug kam. Er atmete
     auf und wollte gerade seine Zigarette wegwerfen und einsteigen. Da trat ein ganz junger und auffällig gutaussehender kleiner
     Faschist zu ihm und bat ihn um Feuer,bevor er die Zigarette wegwarf. »Ecco«, sagte Mihály und hielt ihm die Zigarette hin.
     Er dachte nichts Böses. Und überhaupt stand ja der Zug schon da.
    »Sie sind Ausländer«, sagte der kleine Faschist.»Ich habe das daran gehört, wie Sie ›ecco‹ gesagt haben. Ich habe ein gutes
     Ohr.«
    »Bravo«, sagte Mihály.
    »Sie sind Ungar!« sagte der kleine Faschist strahlend.
    »Si, si«, sagte Mihály lächelnd.
    In diesem Augenblick packte ihn der Faschist am Arm, mit einer Kraft, die Mihály diesem Männchen nicht zugetraut hätte.
    |80| »Ha! Sie sind der Herr, der in ganz Italien gesucht wird! Ecco! Hier ist ein Bild von Ihnen!« sagte er und holte mit der anderen
     Hand ein Papier hervor. »Ihre Frau sucht Sie.«
    Mihály riß seinen Arm los, zog eine Visitenkarte heraus, kritzelte rasch darauf:
Es geht mir gut, sucht mich nicht
, und gab sie zusammen mit einem Zehn-Lire-Stück dem jungen Mann.
    »Ecco! Schicken Sie dieses Telegramm an meine Frau. Arrivederci!«
    Wieder riß er sich von dem Faschisten los, der ihn wiederum gepackt hatte, sprang auf den anfahrenden Zug auf und warf hinter
     sich die Tür zu.
    Der Zug fuhr nach Norcia, in die Berge. Als er ausstieg, standen die Monti Sibillini mit ihren mehr als zweitausend Metern
     hohen Gipfeln vor ihm und rechts der Gran Sasso, der höchste Berg Italiens.
    Mihály wurde von seiner Angst auf die Berge hinaufgetrieben, so wie einst die italienischen Stadtgründer. Dort oben in Eis
     und Schnee würde man ihn nicht finden. Jetzt dachte er nicht mehr an Erzsi, ja, er hatte sogar das Gefühl, er habe sie, was
     sie persönlich betraf, mit seinem Telegramm raffiniert außer Gefecht gesetzt. Doch Erzsi war nur eine unter vielen, und er
     wurde gar nicht so sehr von Menschen verfolgt wie von den Institutionen und dem schrecklichen Terrortrupp der vergangenen
     Jahre.
    Denn was war in den letzten fünfzehn Jahren sein Leben gewesen? Er hatte zu Hause und im Ausland das Handwerk erlernt, nicht
     sein Handwerk, sondern das seines Vaters und der Firma, ein Handwerk, das ihn nicht interessierte, dann trat er in die Firma
     ein, dann versuchte er sich mit den Vergnügungen, die einem Firmenmitglied ziemten, Skilaufen, Autofahren und Bridge, dann
     gab er sich alle Mühe, in standesgemäße Liebesaffären verwickelt zu werden, und schließlich fand er Erzsi, dank der man in
     der besseren Gesellschaft so viel von ihm redete, wie einem jungen Mitglied einer vornehmen Firma an Klatsch zustand, und
     am Ende heiratete er auch noch diese schöne, kluge, reiche Frau, die sich ja bereits einen Namen gemacht hatte, indem sie
     mit ihm verbandelt gewesen war.Wer weiß, vielleicht noch ein Jahr, und er würde tatsächlich |81| ein Glied der Firma, eingegliedert in die Verhältnisse, so wie man von N.   N., der zufällig Ingenieur ist, zum Ingenieur wird, der zufällig N.   N. heißt.
    Er machte sich ans Besteigen des Bergs. Strich um kleine Bergdörfer herum, sah, daß sich die Einwohner beruhigend verhielten,
     daß ihn niemand verfolgte. Er war einfach der verrückte Tourist. Doch wenn ihm jemand Gutbügerlicher am dritten oder vierten
     Tag seines Umherstreunens begegnet wäre, hätte er ihn bestimmt nicht für einen Touristen gehalten, sondern bloß für einen
     Verrückten. Er rasierte sich nicht mehr, wusch sich nicht, zog sich zum Schlafen nicht aus, war immer nur auf der Flucht.
     Und auch in seinem Inneren geriet alles durcheinander, hier im kargen, unbarmherzigen Gebirge, in der Menschenleere und Verlassenheit.
     Nicht die leiseste Andeutung eines Ziels tauchte in

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