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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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Ervin wirklich ein Mönch war, und Tränen traten ihm in
     die Augen. Er wandte das Gesicht ab.
    »Nicht weinen«, sagte Ervin. »Du hast dich seither auch verändert. Ach, wie oft habe ich an dich gedacht, Mischi, Mischi!«
    Plötzlich wurde Mihály von Ungeduld gepackt. Er mußte Ervin alles erzählen, alles, auch Dinge, die er nicht einmal Erzsi erzählen
     konnte   … Ervin würde für alles ein Mittel wissen, auf ihm lag ja schon dieses Licht, dieser Glorienschein aus einer anderen Welt   …
    »Ich habe gewußt,daß du hier in Gubbio sein mußt.Deshalb bin ich gekommen. Sag, wann könnte ich mit dir sprechen? Kannst du
     jetzt in mein Hotel mitkommen? Können wir gemeinsam zu Abend essen?«
    Ervin mußte über Mihálys Naivität lächeln.
    »Das geht nicht. Und in diesem Augenblick habe ich leider auch keine Zeit, mein Lieber. Ich bin bis zum Abend beschäftigt.
     Ich muß jetzt gleich weiter.«
    »Habt ihr denn so viel zu tun?«
    »Über alle Maßen. Das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Ich bin heute mit einer Menge Gebete im Rückstand.«
    »Wann hast du dann Zeit, und wo können wir uns treffen?«
    »Das können wir nur auf eine Art, Mischi, aber ich fürchte, es wird für dich sehr unbequem sein.«
    |116| »Ervin! Wie kannst du so etwas denken, wie könnte für mich etwas unbequem sein, wenn es darum geht, mit dir zu sprechen?«
    »Du mußt nämlich ins Kloster heraufkommen. Wir dürfen es nicht verlassen, außer in Ausübung der seelsorgerischen Pflicht,
     wie zum Beispiel heute. Und im Kloster hat jede Stunde ihre strenge Bestimmung. Es gäbe nur eine Möglichkeit, in Ruhe miteinander
     zu sprechen. Weißt du, wir gehen um Mitternacht in die Kirche zum Psalmengebet. Um neun gehen wir zu Bett und schlafen bis
     Mitternacht. Doch das ist nicht obligatorisch. Für diese Zeit schreibt die Regel nichts vor, auch nicht das Schweigen. Da
     könnten wir also miteinander reden. Am besten stellst du dich nach dem Abendessen im Kloster ein. Komm als Pilger, denn Pilgern
     gewähren wir Gastfreundschaft. Bring Sant’ Ubaldo ein kleines Geschenk mit, auch um der Brüder willen. Vielleicht ein paar
     Kerzen, das ist so das Übliche. Und bitte den Bruder Pförtner, daß er dich für die Nacht im Pilgersaal unterbringe. Der ist
     nicht gerade bequem, gemessen an deinen Verhältnissen, aber ich habe nichts Besseres zu bieten. Ich möchte nämlich nicht,
     daß du um Mitternacht losziehst, in die Stadt zurück, ohne den Berg zu kennen. Die Gegend ist sehr unwirtlich für den, der
     sie nicht kennt. Laß dich von einem Burschen hinaufführen. Ginge das?«
    »Ja, Ervin, das geht sehr gut.«
    »Also bis dahin Gott mit dir. Ich muß mich beeilen, ich bin schon verspätet. Wir sehen uns am Abend. Gott mit dir.«
    Und er ging raschen Schrittes weg.
    Mihály spazierte in die Stadt hinunter. Neben dem Dom fand er ein Geschäft, wo er ein paar sehr schöne Kerzen für Sant’ Ubaldo
     kaufte, dann ging er ins Hotel, aß zu Abend und zerbrach sich den Kopf, was für eine Ausrüstung Pilger haben. Am Ende machte
     er aus den Kerzen, seinem Pyjama und seiner Zahnbürste ein hübsches kleines Paket, das man mit etwas gutem Willen als das
     Bündel eines Pilgers ansehen konnte. Dann gab er dem Kellner den Auftrag, ihm einen Führer zu verschaffen. Der Kellner kam
     nach kurzer Weile mit einem Burschen zurück, und sie machten sich auf den Weg.
    |117| Unterwegs erkundigte sich Mihály nach den örtlichen Besonderheiten. Er fragte, was aus dem Wolf geworden sei, der dank der
     Vermittlung des heiligen Franziskus mit der Stadt im Vertrag stand.
    »Das muß vor langer Zeit gewesen sein«, sagte der Bursche nachdenklich. »Noch vor Mussolini. Seit er Duce ist, gibt es keine
     Wölfe mehr.« Doch irgendwie schwante ihm etwas von einem Wolfskopf,der in einer entfernter gelegenen Kirche begraben war.
     »Gehen viele Pilger zum Kloster hinauf?«
    »Ja. Sant’ Ubaldo ist sehr gut gegen Knie- und Rückenschmerzen. Hat der Herr auch Rückenschmerzen?«
    »Rückenschmerzen nicht gerade   …«
    »Er ist aber auch sehr gut gegen Blutarmut und Nervosität. Besonders viele kommen am 15.   Mai, das ist ein Tag vor dem Ubaldo-Tag. Dann werden von der Piazza della Signoria die Ceri, hohe Figuren aus Holz, in einer
     Prozession zum Kloster hinaufgetragen. Aber das ist keine Prozession wie zu Auferstehung oder Fronleichnam. Die Ceri müssen
     im Laufschritt hinaufgetragen werden   …«
    »Was stellen die Holzfiguren dar?«
    »Das weiß

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