Reise im Mondlicht
Von einer sehr alten Bekannten.«
Mihály stand abrupt auf.
»Von Éva Ulpius?«
»Ja, von Éva Ulpius. Sie sollen sie nicht suchen, denn Sie würden sie sowieso nicht finden. Es sei zu spät. Sie hätten es,
läßt sie sagen, damals im Haus in London tun sollen, als sie sich hinter dem Vorhang versteckte. Doch damals hätten Sie den
Namen von Tamás gerufen. Und jetzt sei es zu spät.«
»Wie könnte ich mit Éva Ulpius sprechen?«
»Gar nicht.«
In diesem Augenblick ertönte von jenseits der Mauer der Jammergesang von neuem und stärker als bisher, als weinten sie der
Morgendämmerung entgegen, oder als klagten sie um die schwindende Nacht, mit sich überschlagendem, abgehacktem Heulen, selbstzerfleischend,
mörderisch. Die Dame erschauerte.
»Schauen Sie, die Kuppel von Sankt Peter«, sagte sie.
Die Kuppel schwamm weiß und kalt über der Stadt, als wäre sie die Ewigkeit persönlich. Die Frau eilte vom Hügel hinab.
Mihály spürte eine unsägliche Müdigkeit, als hätte er bis dahin sein Leben krampfhaft mit beiden Händen festgehalten, und
jetzt wäre es ihm entglitten.
Dann riß er sich zusammen und eilte der schon verschwundenen Frau nach.
Unten war ein großes Durcheinander, die meisten waren am Aufbrechen, Waldheim las aus dem
Symposion
vor und gab dazu |178| Erklärungen. Mihály rannte in der Menge hin und her, lief dann vor das Gartentor hinaus, um die Frau vielleicht unter den
Gästen zu finden, die dort in ihre Wagen stiegen.
Er kam gerade rechtzeitig. Die Dame stieg eben in einen schönen offenen Landauer, in welchem schon eine andere weibliche Gestalt
saß, und der Wagen fuhr rasch an. Mihály hatte die andere Frau sofort erkannt. Éva.
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Die Verhandlungen zwischen den Banken zogen sich sehr in die Länge. Die Sache hätte eigentlich ganz einfach geregelt werden
können, wenn lauter intelligente Leute beteiligt gewesen wären – doch das kommt ja im Leben selten vor. Die Juristen versuchten
einander mit Hilfe steiler Satzkonstruktionen auszustechen, die gewichtigen Financiers hielten den Mund und hörten mißtrauisch
zu, und ihr Schweigen sagte deutlicher als jedes Wort:»Geld geben wir keins.«
Das Geschäft kann man vergessen, dachte Zoltán Pataki resigniert.
Er wurde immer nervöser und ungeduldiger. In letzter Zeit war ihm mehrmals bewußt geworden, daß er bei Verhandlungen nicht
aufzupassen vermochte, und seit er das wußte, war er noch nervöser und ungeduldiger.
Unter dem Fenster war jetzt ein langer Hupton zu hören. Früher hatte Erzsi oft unten im Auto gewartet, wenn die Sitzung noch
dauerte.
Erzsi … nicht an sie denken; jetzt tut es noch sehr weh, doch die Zeit heilt ja Wunden.Weiter, weiter. Nutzlos weiterlaufen wie
der Motor eines Autos, aus dem alle ausgestiegen sind, aber einfach weiterlaufen.
Er machte eine resignierte Handbewegung, verzog den Mund und stellte seine große Müdigkeit fest.In letzter Zeit wiederholten
sich diese vier aufeinanderfolgenden Akte automatisch: Erzsi fiel ihm ein, er machte eine resignierte Handbewegung, verzog
den Mund und stellte seine Müdigkeit fest. Dreißigmal am Tag, wie ein Tick. Vielleicht sollte er doch zum Arzt gehen wegen
dieser Müdigkeit? Ach was,alter Junge,wir überleben es,wir überleben’s. Plötzlich horchte er auf. Es war gerade die Rede davon,
daß jemand |180| nach Paris fahren und mit einer bestimmten Finanzgruppe verhandeln sollte. Ein anderer Herr sagte, das sei völlig überflüssig,
man könne es auch schriftlich erledigen.
Erzsi ist in Paris … Mihály in Italien … Erzsi schreibt kein Wort, obwohl sie doch fürchterlich einsam sein muß. Ob sie genug Geld hat? Vielleicht muß sie mit der
Metro fahren, die Ärmste; wenn sie vor neun ausgeht und nach zwei Uhr zurückkommt, kann sie ein Retourbillet lösen, das ist
billiger; die Ärmste macht es bestimmt so. Aber vielleicht ist sie gar nicht einsam. Eine Frau bleibt in Paris nicht so rasch
allein, und Erzsi ist so attraktiv …
Darauf folgte nicht die resignierte Geste, sondern das Blut stieg ihm in den Kopf: sterben, sterben, es gibt keine andere
Lösung …
Unterdessen waren die Herren doch zur Überzeugung gelangt, daß jemand nach Paris fahren müsse. Pataki verlangte das Wort.
Unter Aufbietung seiner ganzen Energie legte er dar, daß es unbedingt nötig war, mit den französischen Partnern persönlich
zu verhandeln. Als er zu reden anfing, wußte er nicht recht, was das überhaupt
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