Reise im Mondlicht
(nützen würde es zwar nichts) und zog sich
wieder aus.
Sobald er im Bett war, präsentierte sich ihm die quälende Alternative wieder. Erzsi in Paris. Entweder war sie allein, gräßlich
einsam, vielleicht aß sie auch nicht richtig, wer weiß, in welchen miserablen Prix-fixes-Lokalen sie sich verpflegte – oder
sie war nicht allein. Dieser Gedanke war unerträglich. Seltsamerweise brachte er es nicht fertig, Mihály ernst zu nehmen,
der Tatsache zum Trotz, daß er ihm die Frau ausgespannt hatte. An Mihály hatte er sich irgendwie schon gewöhnt. Mihály zählte
nicht. Mihály war ein Niemand. In den Tiefen seines Bewußtseins war er überzeugt, daß sich einmal noch herausstellen würde,
daß Mihály auch gar nicht … Mag ja sein, daß Erszi und er ein Verhältnis hatten, daß sie eine Ehe führten, und doch gehörten sie nicht zusammen wie
Mann und Frau. Das konnte man sich von Mihály nicht vorstellen. Aber jetzt in Paris … der unbekannte Mann … der unbekannte Mann ist hundertmal quälender als der bekannte Verführer. Nein, das war nicht auszuhalten.
Er mußte nach Paris. Mußte sehen, was Erzsi trieb. Vielleicht litt |183| sie Hunger. Und die Selbstachtung? Erzsi pfiff doch auf ihn, Erzsi brauchte ihn nicht, Erzsi wollte ihn nicht sehen …
Na und? Genügt es nicht, daß ich sie sehen will? Der Rest ergibt sich dann.
Die Selbstachtung! Seit wann sind Sie so versessen darauf, Herr Pataki? Wenn Sie im Geschäftsleben immer so darauf bestanden
hätten, wo wären Sie jetzt, bitte sehr? Sie hätten einen blühenden Spezereiladen in Szabadka, wie der liebe Herr Papa. Warum
soll ich gerade Erzsi gegenüber auf Selbstachtung pochen? Das soll man da tun,wo es mit einem Risiko verbunden ist.Dem Präsidenten
gegenüber, oder zum Beispiel dem Staatssekretär Krychlovác. (Naja, nein, das wäre wiederum übertrieben.) Einer Frau gegenüber
auf Selbstachtung bestehen? Wäre gar nicht ritterlich, gar nicht gentlemanlike. Sondern lächerlich.
Am nächsten Tag entfaltete er eine stürmische Aktivität. Er überzeugte die Bank und sämtliche interessierten Parteien, daß
der junge Herr Schwiegersohn doch nicht die ideale Wahl war, daß man für die Verhandlungen mit den französischen Herren doch
eine erfahrenere Person brauchte.
Die interessierten Parteien begriffen allmählich, daß Pataki selbst die betreffende erfahrenere Person war.
»Aber sprechen Sie Französisch, Herr Direktor?«
»Nicht sehr gut, aber ich lasse mich schon nicht einseifen. Und überhaupt, die Leute, mit denen wir im Geschäft sind, können
bestimmt so gut Deutsch wie Sie oder ich. Haben Sie schon einen Financier gesehen, der nicht Deutsch kann? Deutsch is ä Weltsprache.«
Am folgenden Morgen war er bereits unterwegs.
Den geschäftlichen Teil der Reise erledigte er in einer halben Stunde. Der Franzose namens Loew, mit dem er verhandeln mußte,
konnte tatsächlich Deutsch und war außerdem ein intelligenter Mensch. Daß die Sache so rasch erledigt war, lag auch daran,
daß Pataki im Gegensatz zu den Dilettanten die wirtschaftlichen und finanziellen Belange nicht ernst nahm; er verhielt sich
zu ihnen wie der Arzt zu den Kranken. Er wußte, daß es auf diesem Gebiet so ist wie auf allen anderen Gebieten, nämlich daß
die |184| Unbegabten oft viel weiter kommen als die Begabten, daß die Unkundigen sich besser bewähren als die Sachverständigen, daß
eine Menge Pseudofinanciers an den wichtigen Posten sitzen, während die echten im Café Schwartzer oder Markó ihre Betrachtungen
anstellen. Auch hier wird der Kampf um eine Fiktion geführt, so wie in der Wissenschaft, wo eine inexistente und gar nicht
wirklich erwünschte Wahrheit gesucht wird. Hier sucht man das Kapital, das schon aufgrund seiner Dimensionen nicht den geringsten
Sinn hat. Und um dieses Kapitals willen werden Vermögen verloren, die einen Sinn haben. Das ganze Aufhebens ist so unseriös
wie alles andere auf der Welt.
Er war stolz darauf, daß er das wußte und Mihály zum Beispiel nicht. Der war ein Intellektueller, und gerade deswegen glaubte
er noch ans Geld, während er an allem anderen zweifelte.
Mihály sagte zum Beispiel Dinge wie: »Die Psychologie, so wie sie sich heute präsentiert, ist eine völlig unzuverlässige Wissenschaft,
die noch in den Anfängen steckt …« oder: »Die Lyrik hat heutzutage keine Bedeutung mehr …« oder: »Humanismus? Unsere Reden gegen den Krieg halten wir umsonst, er
Weitere Kostenlose Bücher