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Reise in die arabische Haut

Reise in die arabische Haut

Titel: Reise in die arabische Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea M Ben Habibi
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Fahrt aufnimmt. In jeder Kurve habe ich das Gefühl, dass ich vom Sitz fliege. Furchtsam bibbernd klammere ich mich vehement an die Rückenlehne des Vordersitzes.
    »Khalid, darf ich am Fenster sitzen?«
    »Kein Problem.« Umständlich wechseln wir unseren Sitzplatz.
    Jetzt bin ich bereit, das tunesische Ambiente mit meinen Augen wahrzunehmen.
    Zum größten Teil schimmern die Mietwohnungen in einem dreckigen Weiß. Dazu bilden die blauen Fensterklappen einen deutlichen Kontrast. Wagenrädergroße Satellitenschüsseln verzieren die einzelnen Balkone. Servus, der Bayernstaat lässt grüßen.
    Über den Balkongeländern schwingen sich farbenprächtige, orientalisch geknüpfte Teppiche. An den stramm gespannten, blauen Wäscheleinen hängen XXXL-Liebestöter. Schwarze Pumphosen mit roter Spitze. Meine Oma trug früher dieselben Höschen. Vor dem Bett tanzte sie in diesem Outfit keck vor meinen Augen herum und imitierte Mary: »Ja, ich bin die tolle Frau aus der Tingel-Tangel-Schau …«
    Nach der imposanten Hosenmenge zu urteilen, gibt es hier viele Tingel-Tangel-Frauen. Wuchtige Tingel-Tangel-Frauen. Die Konfektionsgröße einzelner Shorts entspricht in etwa einem Kartoffelsack.
    Je weiter wir aus der Innenstadt herauskommen, umso turbulenter wird der Alltag. Arabische Opas, vermummte Gestalten, europäisch gekleidete Jugendliche spazieren mitten auf der Straße anstatt die Seitenstreifen zu nutzen. Wenn sich ein Auto nähert, springen sie kurz auf das Trottoir, um sofort, nachdem die Gefahr gebannt ist, wieder auf die Fahrbahn zu marschieren. Die Autofahrer hupen und scheren sich um keinerlei Verkehrszeichen. Es geht gesitteter zu, wenn eine Polizeistreife inmitten der Straße zu sehen ist. Die Gendarmerie steht an vielen Ecken, zumindest aber im Fokus des Kreisverkehrs.
    In den Dörfern herrscht Betrieb. Kleine Kioske veräußern Obst und Gemüse. Andere Buden vertreiben totes oder halbtotes Getier. In manchen Miniläden wird mit Schuhen, Textilien oder Möbeln gehandelt.
    Ein Shop entsteht meistens durch ein freigeräumtes Zimmer im Erdgeschoss eines eigenen Hauses. Somit erübrigt sich die Mietzahlung für die Geschäftsinhaber, die vierundzwanzig Stunden präsent sind. Im Shop wird geklönt, gegessen und geschlafen.
    Obst und Gemüse türmen sich in wurmstichigen Holzkisten vor den kleinen Läden. An den Markisen hängen Bananen und grüne Netze mit leuchtend frischen Apfelsinen. Ab und zu ängstigen sich ein paar Hennen vor dem Eingang, die auf ihr Todesurteil warten. Kioske, die Fleisch verkaufen, werben mit Kuhschädeln, Schafsköpfen und Kamelgesichtern. Gruselig, wenn man in die Augen der toten Visagen blickt. Zudem baumeln kopflose, halbe Schafe und Ziegen an riesigen Schraubhaken von der Decke herunter. Für einen Tierliebhaber das totale Horrorbild.
    Wir stoppen kurz vor einem Fischershop. Ein grinsend orientalisch angehauchter Verkäufer schwingt einen gigantischen Oktopus hin und her. Zuweilen verheddern sich die Fangarme des toten Fisches in seinem Gesicht. Urkomisch.
    »Warum wedelt der Typ mit dem Tintenfisch herum?«
    »Weil er den Autofahrern signalisieren will, dass er guten Fisch verkauft.«
    Solange ich in der Sahelzone verweile, sehe ich diesen Werbeali ständig an der gleichen Stelle herumhampeln. Ich überlege, dass es einfacher wäre, ein Stolperschild aufzustellen. Aber gegen die Logik der Tunesier ist kein Kraut gewachsen.
    Das einheimische Pärchen steigt mit sechs rappelvollen Plastiktüten aus dem Taxi. Auch Tunesier shoppen ab und zu im Großformat.
    Der Fischverkäufer verzieht wegen des geplatzten Handels sein Gesicht, als sich das Taxi wieder in Bewegung setzt und sich in den Verkehr einfädelt.
    An den Straßenrändern zwischen den Ortschaften scharren Esel mit angeleinten, brüchigen Karren, auf denen Fenchel und Möhren zum Verkauf aufgebaut sind. Müde Gemüsehändler liegen zwischen den Knollen und ruhen sich von der Ernte aus.
    »Hier auf der Straße kauft man günstiger als im Kiosk.« Khalid gibt dem Fahrer ein Zeichen, damit er anhält. Mein Mann springt aus dem Auto und kauft einige Fenchelknollen.
    »Für zu Hause«, sagt er. »Walda und Jadda werden begeistert sein.«
    Ich bezweifle, dass die beiden Damen sich über tunesischen Fenchel freuen.
    Auf den Dörfern locken die Cafés. Drinnen und draußen vergnügen sich männliche Spezis vor Tay à la menthe und spielen Karten. Neben den Plastikstühlen funkeln bunte Wasserpfeifen, an deren Schläuchen die Burschen

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