Reise in die arabische Haut
Das ist traditionelles Brot. Nur Waldas Fladen schmecken besser.«
»Ich hab vergessen, wie alt Walda ist.«
»Sechsundfünfzig. Wieso?«, fragt Khalid verwundert.
Ich rechne flink die Differenz zwischen Walda und mir aus. Sechs Jahre. Meine Schwiegermutter könnte eher meine Schwester sein. Wie wird sie auf mich reagieren?
»Und wie alt ist Jadda?«
»Vierundsiebzig.«
Jadda ist Waldas Mutter und demzufolge Khalids Großmutter. Ihr Mann, der Jadd, ist vor fünf Jahren gestorben.
»Mein Bruder ist sechsunddreißig, meine große Schwester Shirin ist einunddreißig, Alisha ist knapp neunundzwanzig und hat zwei kleine Kinder. Die Jamila, meine jüngste Schwester, ist vierundzwanzig«, klärt mich Khalid weiter auf.
Ich rechne Kopf: Somit kann Jadda meine Mutter, meine Schwiegermutter meine Schwester und Jamila meine Tochter sein. Eine heikle Situation.
Ich fühle mich hin- und hergerissen. Akzeptiert mich Khalids Familie oder lacht sie mich aus?
Ist Khalid ein Beznesser, der hinter meinem Geld her ist, das ich nicht habe? Mein Kriminalroman, den ich dank meiner talentierten Schreibe einem Kleinverlag unterjubeln konnte, hat sich nicht amortisiert, allenfalls einen Teil der Unkosten gedeckt. Amazonrang 1.589.110. Mieses Ergebnis für eine Neuerscheinung.
Alle weiteren Überlegungen münden in einer tiefen Depression. Beznesser und erfolglose Buchautorinnen passen zusammen wie Schweineschnitzel auf arabischen Grillrosten.
Der Kellner reißt mich aus meinen hirnrissigen Gedanken: »Teschrab, cola, tay, mä, asir?«
»Was willst du trinken?«, übersetzt Khalid. »Cola, Tee, Wasser oder Saft?«
»Nix.«
Die Süßigkeiten haben sich in meinem Magen stark ausgebreitet. Flüssigkeit passt nicht mehr hinein.
Als Khalids Teller vor Leere glänzt, holt er sich eine runde Schale, die mit acht verfeinerten Petits Fours bestückt ist. Demonstrativ schiebt er den leckeren Kuchenteller in die Mitte des Tisches.
»Hau rein, Baby.«
Wer weiß, ob das Schlaraffenland morgen weiterbesteht? Ich lasse heute nichts anbrennen. Die Ananas-Creme-Stückchen locken mich aus der Reserve. Zusätzlich schaufle ich mir zwei klebrige Schokotörtchen in den Mund, obwohl mein Magen rebelliert.
»Ach herrje«, entfährt es mir.
Khalid kaut und fragt mit übervollem Mund: »Probleeeme?«
»Ja, ein esstechnisches Problem. Ich habe den Vanillepudding noch nicht probiert.«
Träge trabe ich zum Büfett und hole mir ein randvoll gefülltes Aluminiumschälchen. Der Pudding gibt mir den Rest.
Kaputt liege ich im Bett und versuche, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Die geräuschvolle Popmusik aus der angrenzenden Diskothek sowie mein Magengrummeln lassen mich nicht einschlafen. Pappsatt schließe ich die Augen und male mir aus, was Tunesien noch zu bieten hat. Morgen lerne ich meine neue Familie kennen, ist mein letzter Gedanke, bevor ich einnicke.
Tour nach Beni Hassen
Nach einer durchwachsenen Nacht - Khalid schnarcht gedämpft vor sich hin - brühe ich mir mit meinem deutschen Wasserkocher einen Instantkaffee auf, um meine Hirnzellen gerade zu rücken.
Unerwartet erlischt das Licht. Ich habe schon gestern geahnt, dass mit diesem Hotel einiges nicht stimmt. Tags zuvor ließen das brüchige Bettgestell sowie die schlampige Putzfrau zu wünschen übrig. Heute ist es die Stromversorgung. Hoffentlich klappt die Verpflegung weiterhin so großzügig wie am letzten Abend. Die Seeluft lässt mich Kohldampf schieben.
Khalid wacht auf und schimpft über den nicht vorhandenen Strom.
»Wenn hier Atomstrom eingespeist wird, bin ich sowieso völlig fehl am Platz«, sage ich down und erinnere mich mit Schrecken an die Mobbingangriffe in der Atomlobby.
»Wie soll ich mich jetzt rasieren?«
»Am besten gehst du heute unrasiert als Islamist zu deiner Familie.«
»Damit macht man keine krummen Witze«, echauffiert sich mein Gatte und verkrümelt sich hörbar motzend ins Bad. Derweil gehe ich auf den Balkon und beobachte das unruhige, ozeanblaue Meer. Die Wellen klatschen gewaltig an den Strand. Weit draußen treiben zwei winzige Fischerboote. Der frühe Vogel fängt den Wurm und der frühe Angler fängt den Fisch. Fernab von ihnen sehe ich eine weiße Kugel. Sie sieht aus wie eine Boje. Neben dieser Murmel taucht ein Geschöpf auf. Mal recken sich Beine, mal strecken sich Arme aus dem wilden Wasser.
Ist dort ein Mensch in Seenot geraten?
»Hilfe. Hilfe.«
Khalid stürmt nackig aus dem Bad und schaut auf meinen Zeigefinger, der bibbernd
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