Reise in die arabische Haut
die düstere Handelszone. Ich bin pikiert über dieses düstere, enge Gemäuer. Früher war es höchstens eine Garage oder eine Wohnhöhle für Sklaven.
Walda zeigt mir die schaukelnden Kinderbettchen aus Metall, die knapp über den Boden schweben. Ich denke an die armen Mütter, die sich tief bücken müssen, um ihre Babys hochzunehmen. Walda handelt mit karierten Wickeldecken und unifarbenen Sportkarren. In einem gebeizten Holzregal stapeln sich einzelne Papierwindeln, sortiert nach Größen. Mütter, die über wenig Geld verfügen, kaufen den Pampersabklatsch deshalb Stück für Stück.
Ich finde, dass die Ein-Liter-Flaschen, gefüllt mit verschiedenen Orientparfüms, fehl am Platz sind.
Khalid schwärmt: »Die Mütter müssen gut duften, damit noch mehr Babys auf die Welt kommen. Nur so floriert Waldas Umsatz.«
»Okay«, sage ich und sprühe mir Patchouli unter die Achseln.
Auf einer schmalen Schubladenkommode sprechen mich elektronische Spieltafeln mit großen Knöpfen an. Ich drücke auf den Buchstaben A. Die elektronische Else singt: »Allah kebir.« Religiöses Spielzeug. Mit dem Islam kann man nicht früh genug beginnen.
Am Ende der Höhle erblicke ich zwei uralte, wurmstichige Polsterbänke mit braunen Decken und Kissen. Eine Heizscheibe dient zum Aufbrühen von Tee oder Kaffee.
»Werden die wuchtigen Sofas auch veräußert?«
»Nein. Shirin und Walda ruhen sich mittags darauf aus, wenn sie müde sind«, antwortet Khalid.
Mir dämmert, dass in diesem Land überall geschlafen wird, auch wenn es auf dem Scheiterhaufen ist.
Khalid und seine drei Schwestern lümmeln sich auf einem Sofabett. Auf der anderen knarrenden Couch sitzen Walda und ich. Walda hat ihr Tuch halb abgestreift und knibbelt die harte Schale einer duftenden Orange ab. Sie stopft mir die Orangenspalten ungefragt in den Mund. Die Apfelsinen schmecken saftig süß und frisch, als wären sie direkt vom Baum in meinen Schlund gefallen. Pflückfrisch. Hier schmecken die Orangen nach Orangen und nicht nach chemischen Keulen, wie ich sie aus Deutschland kenne.
Ruckartig zieht Walda an den kurzen Ärmeln meines T-Shirts.
»Ihr gefällt dein Kurzarmshirt nicht. Sie möchte, dass du nächstes Mal mit längeren Ärmeln kommst, zumindest mit solchen, die die Ellenbogen bedecken.«
Es reicht nicht, dass ich in Deutschland immerzu Unmut erwecke, auch hier nehme ich diese Stellung ein.
Ich grübele weiterhin über den mickrigen Fachhandel nach. Den Kinderladen habe ich mir größer vorgestellt. Khalid erzählt stolz, dass wir uns im Afrika der Kleinhändler aufhalten. So gesehen, ist Waldas Laden doch recht üppig.
Eine tunesische Hausfrau, eingemummt in einem beigen Laken, schaut vorbei. Im Laden lüftet sie den Stoff. Khalid dreht sein Gesicht dezent zur Wand. Ihre Handinnenflächen und die Fingerkuppen sind feuerrot. Henna. Geschmacksverirrung.
»Sie findet, dass du trotz blonder Haare wie eine Afrikanerin aussiehst, weil du so bräunliche Haut hast«, sagt Khalid.
»Teile ihr bitte mit, dass ich auf afghanische Ururahnen zurückblicke. Diese haben meine Haut geprägt«, fordere ich Khalid auf.
Auch wenn das absurd klingt, es ist unverblümte Realität. Ich stamme von Afghanen ab.
Die Zeit verfliegt im Adlerflugtempo.
»Ich muss Jadda Adieu sagen. Jetzt wird sie hoffentlich nicht mehr beten«, konstatiere ich forsch.
»Die absolviert bestimmt gerade ihr Abendgebet. Aber wir kommen in drei Tagen wieder zu Besuch hierhin, da erübrigt sich das Verabschieden. Unser Bus fährt in vier Minuten ab.«
»Mein Trolley steht noch bei der Familie«, sage ich mutig, denn ich will Jadda heute nochmal umarmen.
»Den können wir beim nächsten Gastspiel mitnehmen.«
Die schlichten, ratternden Linienbusse sehen nicht sicher aus, sind aber gut frequentiert. Wir steigen am Hintereingang ein, wo ein Kassenwart wenige Millimes kassiert. Auf unserer Fahrt nach Sousse steigen von Dorf zu Dorf mehr Menschen zu. Gequetscht drängeln sie im Bus und starren auf meine offenen, hellen Haare. Ich bin froh, dass wir einen Sitzplatz ergattert haben. Wir schaukeln und ruckeln durch die holprigen Straßen bis zum Busbahnhof in Sousse. Ich klammere mich an den Haltegriffen fest, um nicht vom Sitz geschleudert zu werden.
Einen Vorteil hat der Bustransfer: Wir ersparen uns das Taxihopping, das durch die rauchenden Fahrer weniger angenehm ist, außerdem hat eine Fahrt im arabischen Oldtimer-Bus durchaus ihren Reiz.
Urlaubsanimation
Das reichliche Abendessen im
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