Reise in die arabische Haut
Süßstofftee. Dieser schmeckt tausendfach besser als Waldas Mokka.
Jadda berücksichtigt, dass ich keine orientalische Teekennerin bin. Nachdem ich ein halbes Glas getrunken habe, gießt sie die Neige durch ein Sieb in einen anderen Becher. Insofern bleibt mir Teegrund im Mund erspart. Für heute hat es sich ausgeknirscht.
Jadda plaudert mit mir in tunesisch-arabisch-französischem Kauderwelsch. Ich nicke mit dem Kopf. Was ich akzeptiere, ahne ich nicht im Geringsten.
Während wir einträchtig zusammensitzen und sie meine Hand hält, ertönt eine Megafonstimme über den Ort. Der Muadhin mahnt zum Gebet.
Nervös springt Jadda auf, schnappt sich ihre Krücke und hinkt in den Hof. Ich folge ihr diskret. Die weißen Stühle vergilben verwaist im grellen Sonnenlicht. Die Hoffläche sieht aus wie leergefegt. Jadda hält eine kleine Kanne Wasser in der Armbeuge und schüttet das klare Aqua über ihre Füße. Sie starrt auf die Gartenmauer, die Richtung Mekka liegt, und legt los, Allah anzubeten.
Staunend höre ich eine Zeit lang der Andacht zu, bis mir langweilig wird.
Ich fahnde nach meiner restlichen Familie, die unauffindbar ist.
Als ich das Wohnzimmer betrete, pralle ich zurück. Walda und meine Schwägerinnen knien auf ihren Gebetsteppichen und beugen ihre Oberkörper betend auf und nieder. Die Männer sind verschollen.
Gebetsstunde, nur für Frauen?
Als ich Khalid kennenlernte, betete er fünfmal am Tag und zog auch die Ramadamzeit durch. Nach und nach ließen seine Allah-Anrufe nach. In Deutschland gibt es leider Gottes keinen Muadhin, der an islamische Gebete erinnert. Bei uns läuten die Glocken lediglich sonntags zum Kirchgang. Das Glockenspiel bei Hochzeiten und Beerdigungen vernachlässige ich getrost.
Ich verziehe mich auf den Thron. Der einzige Ort, wo Ruhe herrscht. Das Klosett offenbart sich als europäische Toilette mit einer nicht abgetrennten Dusche. Toilettenpapier suche ich vergeblich. Zur Poreinigung hängt ein Schlauch an der Wand. Ein arabisches Bidet.
Nach dem Pinkeln entdecke ich, dass die Klospülung kaum Wasser spendet. Mit diesen wenigen Tropfen gelingt es mir nicht, mein Geschäft herunterzuspülen. C‘est la vie. Ich muss den Wasserschlauch leider zweckentfremden.
Die Waschmaschine, die im hellen Vorraum steht, ist ein Monstrum mit zwei Waschtrommeln. Nach kurzem Blick auf das Fabrikat wende ich mich dem Händewaschen zu. Die Seife erweckt einen antiken Eindruck. Wahrscheinlich haben sich eine Million Leute mit diesem Waschmittel eingeseift. Schmuddelig und zermatscht fristet sie ihr Dasein in der Seifenschale. Da lasse ich sie liegen, denn meine Hände sind nicht so bakterienverseucht, dass sie einer Matschseifenbehandlung bedürfen.
Außer Jaddas Allahrufe vernehme ich unter dem freien Himmel keinen Ton. Interessiert öffne ich eine aus verschiedenen Holzarten zusammengezimmerte Tür, die zwischen Jaddas und Ali Babas Domizil liegt.
Das fensterlose Zimmer ist mit glitzernden Wannen, Töpfen, Siebgefäßen, Kalebassen und Krügen bestückt. Eine bunt genutzte Rumpelkammer.
Ich würde den Raum nicht als Remise missbrauchen, falls ich in Ben Amors Imperium leben würde. Kein Atemzug verrät mir, dass dieses kleine Kabuff schon auf mich wartet.
Wie ein dummer Esel hampele ich auf dem Platz herum und lauere auf das Ende der Gebetszeit. Wo sind bloß die Männer hin?
Monoton bestaune ich erneut die europäische Toilette und stelle mir vor, was ich hier alles variieren würde. Zuerst kämen Regale und Haken an die Wände. Ein Duschvorhang dürfte keinesfalls fehlen. In meinen Überlegungen platzt laute arabische Salbaderei. Ich öffne die Badetür und glupsche in den Hof.
Auf mich kommen weiß vermummte Gestalten zu. Gespenster! Tunesisches Halloween?
Couragiert gehe ich ihnen entgegen.
Walda und zwei meiner vier Schwägerinnen haben sich elfenbeinfarbige Bettlaken um Kopf und Leib geschwungen. Professionell, kunstvoll. Walda hält ihr Laken unter den Armen geklemmt und mit einer Hand vor dem Gesicht zugezogen. Nur ihre Augen blicken hinaus.
Jadda betet weiterhin konzentriert und stört sich nicht an dem Geschnatter.
»Bist du fertig? Wir wollen aufbrechen«, ruft Khalid über meine Schulter hinweg. Ich habe nicht registriert, dass er im Rückhalt lauert.
»Ich möchte noch hierbleiben«, bitte ich enttäuscht.
»Wir hauen noch nicht ab, sondern schauen in Waldas Shop vorbei.«
Walda besitzt an der Hauptstraße ein großes Kinderfachgeschäft, das wir noch nicht
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