Reise in die arabische Haut
besichtigt haben.
»Shirin verweilt schon im Laden und hält dort die Stellung«, ereifert sich Khalid.
Ich freue mich darauf, das Fachgeschäft zu begutachten.
Jadda und die Frau in Rot samt Kinderschar bleiben daheim. Um Ordnung zu schaffen, denke ich, aber meine Gedanken liegen völlig daneben.
Das urige Fachgeschäft
Wir gehen durch verwinkelte Gassen. Vorbei an Eseln, die desinteressiert und hungrig auf ihren nächsten Einsatz warten. Vorbei an Hühnern und Truthähnen, die in Müllbergen nach Nahrung suchen. Vorbei an Schafen und Ziegen, die mit Glöckchen um den Hals auf dürren Grasflächen weiden.
Vor Opas Haus, dem Vater von Ali, steht eine geschminkte, hübsche Frau in einem langen, bordellroten Samtkleid. Das mit Rosen bestickte, schwarze Kopftuch flattert in der leichten Brise.
»Ist das deine Tante vor dem Haus?«, frage ich.
»Nein, das ist meine Stiefjadda, die Stiefmutter meines Vaters«, antwortet Khalid ernsthaft.
Mir bleibt die Spucke in den Drüsen stecken.
»Jadda? Du tickst falsch. Wie kann diese junge Frau deine Oma sein?«, pruste ich los.
»Meine erste Jadda starb mit dreißig an Kindbettfieber, meine zweite Jadda verendete an Magenkrebs und darum ist meine dritte Jadda halbwegs jung und gesund. Sie ist vierundvierzig Jahre alt.«
»Und wie alt ist dein Opa?«
Prompt schießt es aus seinem Mund: »Neunundachtzig.«
Andere Länder, andere Sitten.
Das ist ein Altersunterschied von fast einem halben Jahrhundert. Dagegen sind unsere sechzehn Jahre Altersdifferenz Peanuts.
Manche Barracken sehen aus, als wäre grad eine Bombe hineingesegelt. Das Parterre ist bewohnt, aber die erste Etage ist baumäßig ausschließlich zum Viertel oder zur Hälfte fertiggestellt.
»Die tunesischen Häuslebauer erweitern ihre Eigenheime, wenn sie Geld haben. Momentan werden ihre Portemonnaies leer sein«, referiert Khalid, als er meinen verwunderten Gesichtsausdruck sieht.
Die Hütten sehen armselig aus.
»Halbfertige Baracken«, urteile ich aus meiner europäischen Sichtweise. Gerade ich muss mir solche Bemerkungen anmaßen. Ich, die weder in Tunesien noch in Deutschland einen eigenen Keller vorweisen kann.
Zerfledderte, ausgeblichene Vorhänge schützen die Häuser vor Insekten und der Sonne. Vor manchen Wohnungen wachen alte Männer und glotzen konservativ auf die Straße. Ich bedenke jeden Herrn sorgsam mit einem netten Salam aleikum.
»Hörst du endlich auf, die Männer zu begaffen und zu grüßen. So agiert hier keine anständige Frau.«
Offensichtlich mache ich in Tunesien alles falsch. Ich bezwecke, mich schicklicher zu benehmen, um meinen Khalid keine Schande mehr zu bereiten.
Meine halbhohen Wanderschuhe ersticken im Dreck. Straßen sind hier Wege, festgetretener Sand mit Erde. Bei Regen kompliziert zu überwinden. Müll, der verstreut herumfliegt, sowie Plastiktüten, die durch die Lüfte wehen, geben ein unsoziales Bild ab. Da sich niemand über den Kehricht aufregt, schwant mir fast, dass ich die Lage verkenne. Nicht die Kleinstadt ist gemeinschaftsunfähig, sondern ich bin unfähig, mich in die Gemeinschaft einzufügen.
Was nutzt eine saubere Fassade, wenn das Herz dreckig ist?
Auf der geteerten Hauptstraße reihen sich die Verkaufsstände aneinander. Eingesperrte junge Hühner gackern, als wäre der Schlachter mit dem Hackebeil hinter ihnen her. Ob sie ahnen, dass sie bald ihr Leben lassen müssen?
»Dort hinten arbeitet mein Onkel. Er besitzt ein großes Holzfachgeschäft«, verkündet Khalid und blickt stolz auf seine Heimatstadt.
Es freut mich, dass es viele Betriebe in Beni Hassen gibt. Es freut mich noch mehr, dass viele Geschäftsinhaber aus meiner Familie stammen.
Shirin steht vor einer niedrigen, schmalen Ruine und winkt. Ich glaube, wir sind im Kinderladen angekommen.
Draußen lehnen aufgereiht acht Kinderfahrräder an einem kahlen Baumstamm, alle mit einem Seil verbunden. Schutz vor Diebstahl. Knallig farbenreiche Räder, mit Stützen und allerlei Firlefanz, was Kleinkinder und auch mich glücklich macht. Ich probiere die Hupe eines Polizei-Fahrrades aus. Tröt, tröt. Vorbeigehende Leute stoppen, zeigen auf mich und schütteln mit dem Kopf. Peinlich, die Alte spielt mit einer Tröte. Die Reifen sind aus hartem Kunststoff gefertigt. Praktisch. Wenn die Kids durch einen Nagel fahren, passiert nix. Tolle Erfindung.
Auf der anderen Seite des Baumes sind poppige Kinderlaufhilfen vorhanden, die mit mannigfaltigen Kinkerlitzchen ausstaffiert sind. Wir betreten
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