Reise in die arabische Haut
sieht es vor, dass Männer das Haus organisieren, während Frauen für die Einrichtung zuständig sind. Aus diesem Brauchtum stammen die Mammutkäufe, die sich in Kartons stapeln.
Meine Oma hat ihre Aussteuer (Bettwäsche, Handtücher, Küchentücher) in einer Truhe gesammelt. Abends hat sie die Wäsche mit ihren Monogrammen bestickt. Zwischen Truhe und Karton liegt keine himmelschreiende Differenz. So gravierend ist der Unterschied zwischen Tunesien und Deutschland nicht. Nur die Zeiten, in denen wir leben, weichen voneinander ab.
Die gebrauchten Kleidungsstücke liegen bergeweise auf Brettern, die von Holzböcken getragen werden. In der Mitte der Empore thront der Verkäufer, um Diebe abzuschrecken.
Ich wühle in den Stoffhügeln herum und finde europäische Frauen-T-Shirts mit den Aufdrucken Tittentussi sowie Betthäschen. Hier treibe ich sicher keine Sommerkleidung für das konventionelle Tunesien auf.
Apathisch folge ich Jamila, die sich in die Massen stürzt, um Handtücher, Decken und Röcke zu kaufen. Mutig boxt sie sich mit ihrem Ellenbogen durch das immense Gedrängel. Ich nehme ihr freiwillig die schweren Tüten ab, damit sie freier gucken kann. Knall auf Fall trage ich in der linken Hand vier proppenvolle Jutebeutel und in der rechten Hand drei von diesen Plastiktüten, die in Beni Hassen überall herumwehen. Das Plastik schneidet mir in die Finger. Den Schmerz ignorierend, stapfe ich hinter Jamila her.
Ich vermute, dass der heutige Ausflug aus dem Ruder läuft. Anstatt Sommerkleidung für mich zu besorgen, amtiere ich als Lastenträger.
Missmutig folge ich Jamila, die mit einem Entzückungsschrei einen bunt gestrickten Pullover hochhält. Das Restegarn ist gleichmäßig verarbeitet, zwei Reihen rot, zwei Reihen schwarz, zwei Reihen blau, zwei Reihen schwarz, zwei Reihen beige, zwei Reihen schwarz.
Ich aktiviere meine grauen Zellen. Früher habe ich auch einen Jumper aus alten Wollresten gestrickt. Die Fäden habe ich nicht vernäht. Ich habe die Wollfäden zusammengeknotet, sodass der Pullover auf der linken Seite relativ wulstig ist.
Dieser Pulli ähnelt dem meinigen wie die Faust aufs Auge. Jamila kauft dieses antiquarische Stück aus der Flower-Power-Zeit, stopft es in eine Tasche und geht weiter.
Diese bunte Wollresteverwertung interessiert mich eminent. In der Nähe eines Wasserverkäufers pausiere ich auf einem Stein und pfriemele den Pulli aus der Plastiktüte. Mein erster Blick fällt auf die Zuordnung der Couleurs. Es sind ungewöhnliche Farben dabei. Tönungen, aus denen ich Jacken und Pullover gestrickt habe. Einbildung. Eindeutige Wahnvorstellung.
Man denke an die Menschen, die zu lange in der Wüste umherirren. Sie sehen eine Fata Morgana, die sich beim Näherkommen in Luft auflöst. Ich irre zu lange in Tunesien umher und sehe einen Pullover, der beim näheren Anschauen nicht verfällt. Ich gucke auf die linke Seite und da hängen die lockeren Fäden wie Fransen herab. Allah, es ist zweifelsfrei mein Oberteil, das ich vor einem Dreivierteljahr in den Altkleidercontainer entsorgt habe.
Emotional streichele ich über meine Strickkunst. »Du hast eine lange Reise hinter dir, mein Prachtstück.«
»Die Safari war dunkel und beschwerlich, doch jetzt hast du mich aus rabiaten Händen gerettet«, flüstert das Hippyteil.
Allmählich wird mir Angst und Bange. Es ist, weiß Allah, nicht normal, sich mit einem selbstgestrickten Kleidungsstück zu unterhalten. Irres Denken.
Der bunte Pullover ist einzigartig. Warum habe ich ihn damals bloß weggegeben? Mein Gefühl ist mit einer unüberlegten Adoption gleichzusetzen. Wie geht es Müttern, die ihr Kind abgeben, es bereuen und nach mehreren Jahren wiedersehen? Antwort: ebenso wie mir.
Jamila berichtet, dass tunesische Großhändler die aus Europa eingeschifften Altkleider aufkaufen. Die ausrangierten Anziehsachen werden an Kleinhändler verhökert und hier auf dem Markt in Monastir für Kleingeld angeboten.
In diesem Fall bin ich einem grenzenlosen Irrtum aufgesessen. Ich dachte, dass die Altkleider in Deutschland zerschnitten und zu Flickenteppichen gewebt werden. Joah, das Denken überlasse ich demnächst meinem Laptop.
»Do you like this jumper?«, fragt Jamila, als sie ihre Schätze im Wohnzimmer ausbreitet.
»Yes, it is a wonderful shirt.« Ich verrate ihr nicht, dass ich vor Jahren an diesem unikalen Strickwunder monatelang gearbeitet habe.
»It’s yours. A little present, because you have carry my bags.«
»Shukran Jamila«,
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