Reise in die arabische Haut
Schicksal.
»Wasser«, hechele ich. Walda zieht die Safia-Flasche aus der Tasche. Ich gieße mir das kostbare Nass über den Kopf.
Nach praktiziertem Moschee-Gastspiel gehen wir in die Medina, wo uns die unzähligen Läden und Stände erschlagen. In Kairouan werden die schönsten und buntesten Teppiche des Landes geknüpft und gewebt.
Von Lederwaren bis zu Lebensmitteln gibt es hier alles, was das menschliche Herz begehrt. Durch die bunten Impressionen vergesse ich das kühle Meer.
Walda kauft drei Kartons, gefüllt mit köstlichem Naschwerk.
Im Auto reißt Jadda sofort ein Päckchen Makroudh auf und verteilt die edlen klebrigen Schnittchen. Ich greife ordentlich zu, ohne zu wissen, dass ich durch die in Honig geschwenkten Dattelkekse später fast verdurste. Unser Mittagsmenü besteht aus Gebäck und Wasser.
Der Ausflug nach Kairouan endet mittags, daher schlägt Baba einen Abstecher nach Sousse an den Strand vor, womit wir alle einverstanden sind.
Sonne und Meer
Touristen liegen wie frische Bratwürstchen im Sand und warten auf die Bräunung. Die Küste ist vor lauter halbnackten Leibern nicht mehr zu erkennen. Ich stimme Baba zu, dass dieses Ufer keine gute Adresse für konservative Tunesier abgibt.
Wir entdecken einen Strand, der ausschließlich von Einheimischen benutzt wird. Jadda stöhnt krächzend, als wir durch den Sand stiefeln. Baba begrüßt eine Großfamilie, die Fleischstücke auf hochgeschichteter Kohle grillt. Es stinkt. Ali Baba fordert uns auf, inmitten der Leute Platz zu nehmen.
Jadda krallt sich an meiner Kleidung fest und schubst mich in die seichten klatschenden Wellen. Ich bin erstaunt, dass sie mit ihrem Sonntagsdress ins Wasser stapft. Ehe ich mich besinne, stehe auch ich angekleidet in den Fluten. Als nur noch unsere Köpfe aus der Brandung herausragen, stoppen wir unseren Meeresgang. Jadda lacht, als die Wellen über unsere Häupter hinwegwallen. Mein langes Kleid klebt an meinen Beinen und zieht mich tiefer in das Meer hinein anstatt aus dem Meer heraus. Unsicher klammere ich mich an Jaddas Arm und bin erleichtert, als wir wieder trockenen Sand unter den Füßen verspüren.
Zwei Presswürste, geboren aus dem Wasser, geben sich die Ehre. Unsere wasserdurchtränkten Kleider passen sich wie eine zweite Haut dem Körper an und zeigen jede unschöne Speckfalte. Wir setzen uns zu Walda und trocknen innerhalb anderthalb Stunden. Über ein Lagerfeuer schmort starker Minztee, den wir trotz des heißen Tages hinunterkippen. Das Feuer unter dem Grill schlägt hohe Flammen, was nur mir schreckliche Furcht einflößt.
Im Unterschied zu Deutschland interessiert hier niemanden, dass ein Feuer am Strand entfacht wird.
Vor Jahren grillte ich mit meiner Schwester und meiner Nichte am Rheinufer. Durch einige Windböen nahm das Feuer brenzlige Ausmaße an. Vorbeischippernde Frachter funkten der Leitzentrale SOS. Innerhalb von zehn Minuten rückte die Brandwache mit schwerem Wassergeschütz an. Meine Nichte und ich flohen in derselben Sekunde, als wir das Martinshorn hörten. Wir versteckten uns in einem Gebüsch und überraschten dort einen Dealer und zwei Junkies beim Fixen. Wir türmten erneut und rannten wie die Berserker um unser Leben. Meine Schwester berappte eine satte Strafe von dreihundert Euro. Zu Recht, die Grillsession war schließlich ihre Idee. Noch heute sehe ich Feuerwehr, Polizei und Drogendealer anrücken, wenn ich einen qualmenden Grill sehe.
Aus meiner Sicht ist Tunesien in wenigen Bereichen toleranter als meine hessische Landschaft am Rhein.
Abends spiele ich mit Mehdi Fangen. Kein leichtes Unterfangen bei einem Vierjährigen. Ich bin froh, als er sein elektronisches Allah-Gebetsbuch hervorkramt. Koranverse hörte ich heute zwar zur Genüge, dennoch lausche ich lieber den Suren, als ein Kleinkind zu verfolgen.
Auch in den späten Abendstunden zieht keine Abkühlung herauf, sodass Baba versucht, die Klimaanlage anzuschalten. Das Gerät gibt keinen Mucks von sich. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als gemeinsam im Hof zu nächtigen oder in der aufgeheizten Wohnung zu verbrennen.
Jeder ruht vor seiner eigenen Tür. Schlaflos richtet sich mein Blick auf die Sterne, die am Himmel leuchten. Ich frage mich, auf welchem Kometen meine deutsche Oma sitzt und mir hier unten zuschaut.
Erst Jaddas Gesang über die Ungerechtigkeit der Welt lässt mich in einen leichten Schlummer fallen. Ich wache wieder auf, als sich der Gesang in eine Schnarchorgie verwandelt. Ich bekenne,
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