Reise in die arabische Haut
kennt, ist fraglich. In Tunesien unterhält sich jeder mit jedem. Geschlechtsspezifisch – Mann zu Mann und Frau zu Frau. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Jamila und ich setzen uns auf eine Bank und beobachten die herumwuselnden Frauen, Mütter und Kleinkinder. Manche Weiber fallen in einer Art Trance. Sie schütteln ihre Köpfe, sodass die Kopftücher von den Haaren rutschen. Andere wiederum reißen sich spontan ihre kunstvoll verzierten Tücher von den Häuptern und schwingen ihre Haare im Kreis. Da hier nur weibliche Wesen zugegen sind, ist es kein Problem, Haare zu zeigen. Junge Mütter verstecken sich stumm in einer Ecke und wiegen ihre Kleinkinder, andere Frauen malen Henna-Tattoos auf Hände und Finger.
Allmählich kapiere ich, warum sich Bourguibas Kopftuchfreiheit nicht durchgesetzt hat. Und zwar aus reiner Bequemlichkeit. Einige Frauen tanzen und telefonieren gleichzeitig. Ihre Handys klemmen zwischen Kopftuch und Ohr, so haben sie beide Hände frei. Aus dem Handy ist ein Heady geworden. Die Tunesier sind ein innovatives Volk.
Ich beabsichtige, in Deutschland weiterhin ein Kopftuch zu tragen, um unterwegs mit dem Heady zu drahten.
Mit Kawumm springt Walda auf. Will sie auch housemäßig abdriften? Nein. Sie schiebt mich zur korpulenten Hennamalerin. Diese begutachtet meine Hand. Elegant taucht sie eine Nadel in schwarzer Hennaflüssigkeit und malt mir Blumen-Ornamente auf die Fingerflächen. Nach zehn Minuten schmückt ein orientalisches Gebilde meine Krallen. Kein Vergleich zu den Hennastümpereien auf den Fingerkuppen, die mir im Haus Ben Amor angedacht wurden.
Mit Kopftuch, Traditionskleid und Hennamustern auf der Haut sticht mich nichts mehr von einer echten Tunesierin ab, außer der Sprache, die ich immer noch unzulänglich beherrsche. Die Trommeln tönen heftiger, die ausgeflippten Ballerinas vermehren sich.
In kurzen Abständen huscht eine alte, gebückte Frau durch die Menge und verkauft Minztee aus Thermosflaschen. Die präsenten Frauen halten Gläser bereit. Hier besitzt jeder einen Becher. Walda zaubert drei kleine Teegläschen aus ihrem Kleid hervor. Steckten sie im BH, in der Unterhose oder in den Strümpfen? Egal, der Tee schmeckt absolut köstlich, weil ich durstig bin.
Auch ich rocke ab. Mir wird bewusst, dass ich frei bin, frei wie der Wind, der von oben in den Hof bläst. Frei wie die Bienen und Wespen, die unseren gezuckerten Tee umschwärmen, frei wie die Trommelschläge, die im Nirwana landen.
Am Abend erfahre ich von Jamila, dass in diesem alten Gemäuer vor langer Zeit eine Geistheilerin wohnte, die Menschen von allerlei Zipperlein heilte. Mitunter beschwor sie die unwillkommenen Geister. Dadurch verschwanden die Dämonen und die Kranken gesundeten zusehends.
Hier treffen jeden Monat Frauengruppen zusammen, um die Geistheilerin zu ehren. Der Trancetanz wehrt alle schlechten Einflüsse und Krankheiten ab.
Deshalb fühle ich mich frei und unbeschwert. Ich bin gespannt, wie lange die Wirkung anhält. Ab heute verzichte ich auf mein psychisches Doping und lebe pillenfrei im Hier und Jetzt.
Reinkarnation
In den folgenden Tagen geht es mir ohne seelische Hilfsmittel super. Endlich höre ich eine normale Stimme in meinem Kopf, die mir genau sagt, wo es lang geht. Das muss unbedingt mein geliebter Doktor erfahren.
»I will go to the Taxiphon. Do you come with me?«, frage ich Jamila. Diese winkt störrisch mit erhobener Hand ab.
»Go with Jadda!«
Normalzustand. Die arme Jadda muss allseits einspringen, wo Not an der Frau herrscht. Jadda schwingt ihren Stock und steht schneller vor dem Tor, als es der Imam erlaubt. Sie schlägt einen falschen Weg ein. Ich glaube, niemand hat sie darüber informiert, dass ich nur kurz telefonieren will.
Anfangs besuchen wir Blacky, der friedvoll auf der dürren Weide grast. Das Wasser in der Tränke reicht allemal bis zum morgigen Tag.
Als nächsten Punkt klappern wir die Hühner auf der Müllhalde ab. Jadda findet zwischen den Abfallbergen drei Eier, die sie mir vorsichtig in die Hände legt. Ich ignoriere die kostenlosen Plastiktüten, die hier zentnerweise herumfliegen. Keine Macht bringt mich dazu, die speckigen Tragetaschen aufzusammeln, um die Eier bequem einzupacken.
Unvermutet wirft Jadda ihren Krückstock zwischen die Müllberge und versucht, ein Huhn einzufangen, was ihr erstaunlicherweise ohne Blessuren gelingt.
Ich sehe, dass die Funktionalität ihrer Hüfte rehabilitiert ist. Sie quetscht das Huhn an ihre Mutterbrust. Ich
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