Reise in die arabische Haut
hebe die Gehhilfe auf und verliere dabei ein Hühnerovum, das als Spiegelei auf den Boden platscht. Demzufolge fange ich mir einen schiefen Blick von Jadda ein.
Ich will doch nur telefonieren. Ich glaube, das kann ich vorerst getrost vergessen.
Jadda stolziert wie eine majestätische Löwin vor mir her. Ich bewundere ihre elegante Gangart ohne Krücke. Hier im dörflichen Stadtleben betätigen sich sogar die Hühner als Geistheiler. Oder wie ist die vollzogene Krücken-Absenz alternativ zu deuten?
Ich tippe auf mein Herz und sage: »Entalfan Khalid.«
Jadda schreitet wortlos zum Publitel. Als wir dort ankommen, humpelt sie beschwerlich ins Telefoncenter. Will sie Mitleid erhaschen oder hat sie sich mit dem Geflügelfangen übernommen? Schachmatt setzt sie sich auf die geflochtene Sitzfläche eines Küchenstuhles, der die brüchige Eingangstür aufhält. Behutsam schichte ich meine zwei übrig gebliebenen Eier auf den Tresen und fordere: »Talfan.«
Der bärtige Telefongesprächsanbieter zeigt mir den Weg zur dritten Kabine. Jadda erhebt sich und befiehlt dem tunesischen Adonis, ihren Stuhl vor meine Zelle zu rücken. Der Inhaber tut, wie ihm befohlen. Die Eingangstür fällt mit einem dezenten Knall ins Schloss. Jadda sitzt vor meiner Zelle und hört mit beiden Ohren zu, was ich palavere. Pech für sie, dass ich deutsch spreche.
»Klinik Knusperbaum. Guten Tag. Bibo am Apparat, was kann ich für Sie tun?«
»Hallo Ben Amor hier, ich möchte meinen Mann sprechen.«
Als ich Ben Amor ausspreche, nickt Jadda bestätigend.
»Ich piepse ihn an. Kleinen Moment Geduld bitte.«
Bachs Kantate füllt den kleinen Moment aus. Aus dem kleinen Moment wird eine größere Zeitspanne, in der ich als zweite Arie das Albumblatt für Elise höre.
Jadda guckt verwirrt, weil ich stumm bin. Um zu verhindern, dass sie zum Aufbruch drängt, rede ich mit Elise: »Dein Albumblatt klingt ganz nett, aber wenn ich noch länger zuhorchen muss, springe ich lieber aus dem Fenster.«
»Nicht schon wieder einen Fenstersturz.«
Huch, ich habe gar nicht mitgekriegt, dass Khalid mittlerweile auf der anderen Seite am Hörer hängt.
»Salam Khalid. Ich muss dir was Tolles verraten.«
»Hast Du Sehnsucht? Soll ich dir ein Rückflugticket bestellen?«
»Auf keinen Fall, mir geht es wunderbar hier.«
»Als grüner Witwer in Deutschland kann ich auch nicht klagen.«
»Hör mir jetzt zu.« Wütend stampfe ich mit dem Fuß auf den Boden.
»Dann sprich endlich. Ich habe meine Zeit auch nicht gestohlen.«
»Ich war letzte Woche mit deiner Mutter in einem Frauenhaus und seitdem brauche ich keine Psychopharmaka mehr.«
»Du darfst die Tabletten nicht Knall auf Fall absetzen«, tadelt mein Seelendoktor.
»Wieso?«
»Du nimmst deine Pillen weiterhin wie gehabt. Wir besprechen das Absetzen deiner Medikation in Deutschland.«
Khalid hat die außergewöhnliche Fähigkeit, mich ohne zu fackeln herunterzuziehen, wenn es mir sagenhaft gut geht. Warum kam ich nur auf den Gedanken, ihn anzurufen?
»Lass den Arzt in dir drin und freue dich mit mir, dass ich quasi geheilt bin«, predige ich ärgerlich in den Telefonhörer.
Jadda öffnet stürmisch die halboffene Zellentür. Ihr Huhn flattert verschreckt im Laden umher. Sie reißt mir den Hörer aus der Hand und schimpft dröhnend mit Allzeitdoktor Khalid.
Ich renne hinter dem Huhn her, bin ihm auf der Spur. Aber bevor ich es fangen kann, flattert es in eine andere Ecke. Erst als der Besitzer und zwei weitere Telefonkunden in den Hühnerfang einsteigen, gelingt es uns, die Glucke in eine Ecke zu drängen, aus der es kein Entrinnen mehr gibt.
Jadda steht hocherhobenen Hauptes vor der Telefonzelle und nimmt schnaufend ihr Hühnchen entgegen.
Indessen hat Khalid das Gespräch beendet. Aus dem Telefonhörer kommt nur noch heiße Luft.
Das ganze Telefonspiel nochmal von vorn.
»Moment, ich stelle zu seinem Zimmer durch«, sagt die Empfangsdame.
Wer weiß, wie lange diesmal der Moment dauert.
Die Kantate erklingt in den ersten Tönen, als Khalid den Hörer abnimmt.
»Ben Amor.«
»Ich bin‘s. Wir hatten eben einen kleinen Zwischenfall.«
»Was war mit Jadda los? Sie hat mich angeschrien und aufgefordert, dass ich dich nicht verärgern soll.«
»Jadda mag es nicht, wenn man mich aufregt.«
»Und was war das für ein Gekreische bei Euch? Schlimmer als in unserer Klinik.«
»Uns ist ein Huhn entlaufen.«
»Ein Huhn? Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
»Na klar. Jadda hat im Eifer des Gefechts
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