Reise in die Unterwelt
fragte Polderbag.
»Wie kommt es, daß die Erhabenen Standhaften die Schreie der Matrone nicht hörten, die sie doch zweifellos von sich gab, als diese schreckliche Wesenheit von ihr Besitz ergriff? Ich meine, daß sie Euch trotzdem gehen ließen ...«
»Oh, sie gaben mir natürlich Wachen mit, und was die Schreie betrifft, das ist eine andere Sache. Während der Obszönophob ihren schlafenden Geist quälte, schrie und tobte sie. Doch die Übernahme durch ein so mächtiges Wesen hat sie geweckt, und ihr starker Wille wehrt sich mit aller Macht, doch lautlos, dagegen. Sie hatte, bis ich sie verließ, keinen Laut von sich gegeben. Aber zweifellos wird selbst diese so willensstarke Frau bald überwältigt sein, und dann werden ihre Schreie gewiß die Standhaften im Erdgeschoß alarmieren.«
»Dann dürfen wir keine Zeit verlieren«, erklärte Mumber Sull. Er zog am Ärmel seines unwilligen Lehnsmanns, und das Trio trat auf die Straße, gefolgt von den wartenden Wachen.
Die Sonne war bereits hinter den Bergen versunken, als sie Spurbs zweistöckiges Haus erreichten, dessen Mauern besonders dick zu sein schienen. Düster brennende Kerzen steckten in metallenen Haltern links und rechts der Eingangstür, die die Wachen hinter ihnen schlossen. Sie befanden sich in einem großen Vorraum, an dessen Wänden sich Bank an Bank reihte. Darauf hatten sich sämtliche Mitglieder der Synode niedergelassen. Während die Matronen völlig versunken ohne äußere Hilfe meditierten, trugen die männlichen Standhaften flache Meditationssteine verschiedener Größe auf den Köpfen. Je größer der Stein, desto höher die Würde seines Trägers.
Die Standhaften registrierten das Eintreten der drei Zauberer lediglich durch das Öffnen der Augen. Polderbag verbeugte sich vor Spurb, der ihn streng musterte.
»Die schändliche Wesenheit ist in unserer Gewalt«, erklärte Polderbag. »Wir wollen nun gemeinsam die sicherste Art und Weise beraten, um sie zu vernichten und eine zukünftige Belästigung durch ihresgleichen zu verhindern. Die Erhabene Grimba Salta wird in spätestens einer Stunde befreit sein.«
Spurbs einzige Antwort war das Schließen der Augen, um sich wieder der Meditation hinzugeben.
Die Zauberer stiegen eine hallende Treppe empor und einen hohen zugigen Gang entlang. Nach einem kurzen Zögern vor einer Steintür winkte Polderbag die Wachen zurück und bat Cugel und Sull, mit ihm einzutreten.
Sie kamen in einen Raum, genauso hoch wie der Gang, mit spärlichem Mobiliar. In einer Ecke stand ein Bett, und in der Mitte ein hölzerner Tisch, der nun offenbar den Zweck erfüllte, der eigentlich dem Bett zugedacht war, denn unter einem grauen Leinentuch wölbte sich etwas, das nur die reglose Gestalt der besessenen Matrone Grimba Salta sein konnte – obgleich die Wölbung selbst für eine Dame ihrer Statur ungeheuerlich schien.
Polderbag starrte fasziniert auf die gewaltige Masse unter der improvisierten Zauberdecke, die mit kabbalistischen Zeichen bemalt war. »Eine erstaunliche Frau, unmenschlich schier! Ich hatte zumindest ein Wimmern, ein wenn auch schwaches Zittern erwartet. Aber nichts! Sie bleibt unbewegt.«
Cugel hatte mit dem ersten Blick erschrocken festgestellt, daß der Raum fensterlos und ganz aus festem Stein war. Es war demnach unmöglich, von hier zu fliehen, falls die Vertreibung erfolglos blieb. Beschwörend blickte er, genau wie Polderbag, den Than an.
Mumber Sull war sich der Blicke seiner Begleiter durchaus bewußt. Er trat ein paar Schritte näher an die völlig bedeckte Gestalt heran und musterte sie. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Sie erscheint mir ... Ich nehme an, sie kann uns nicht hören?«
»Wie sollte sie«, versicherte ihm Polderbag. »Ihre ganze Kraft konzentriert sich darauf, den Inkubus abzuwehren.«
»Nun, dann kann ich es wohl sagen. Sie erscheint mir selbst für eine waddlawgsche Dame von sehr ungewöhnlichem Umfang.«
Der fette Zauberer schauderte. »Ihr versteht nicht. Die obere Hälfte dieser Masse ist nicht ihre eigene.«
Mumber Sull begriff. Nun schauderte auch er. Doch jetzt erwachte sein Grimm, und er richtete sich zu seiner ganzen dürren Größe auf.
»Ektoplasma oder nicht!« rief er erbost. »Dieser unverschämten Besitzergreifung muß ein Ende gemacht werden!« Er trat näher an den zweckentfremdeten Tisch heran.
Cugel, der nun selbst überzeugt war, daß der Than einen Zauber kannte, befürchtete, daß er ihn mit seiner charakteristischen rechtschaffenen
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