Reise in die Unterwelt
Unbedachtsamkeit benutzen würde.
»Wartet!« rief er und faßte nach seinem Arm. »Sagt mir erst, welche Art dieser Zauber ist, den Ihr beherrscht. Wir können es uns keinesfalls erlauben, noch weitere dieser gefährlichen Wesenheiten herbeizubeschwören.«
Sull blickte seinen Lehnsmann mißbilligend an und erwiderte steif: »Es ist ein Than-Zauber. Eine erbliche Gewalt, einen dienstbaren Geist herbeizurufen. Ich werde ihm befehlen, diesen schändlichen Inkubus zu vertreiben.« Er hielt überlegend inne. »Unsere Familie hat diesen Dämon schon seit Generationen nicht mehr herbeibeschworen, ich weiß deshalb nicht, wie er aussieht. Doch das ist gewiß nicht so wichtig.«
Wieder richtete er sich hoch auf und trat noch näher an den zweckentfremdeten Tisch heran, ehe er stehenblieb und sich auf die bedeckte Masse konzentrierte. Und doch schien er sie nicht wirklich zu sehen, denn er gab kein Anzeichen, daß er die plötzliche Veränderung bemerkte.
Polderbag stieß Cugel in die Seite und flüsterte: »Seht! Sie beginnt sich zu bewegen!«
Die beiden starrten mit offenem Mund, als die Masse unter dem Tuch sich wellenförmig hob und senkte. »Nun ergreift der Inkubus voll Besitz von ihr«, stöhnte Polderbag. »Und immer noch gibt sie keinen Laut von sich. Was ist das nur für eine Frau! Schrei doch!« rief er. »Ergib dich!« Erschrocken hielt er inne und blickte auf die Tür, hinter der das Füßescharren und Gemurmel der Wachen zu hören war. Verzweifelt wandte er sich an den Than, der schweigend vor dem Tisch stand und das Wogen der Decke immer noch nicht zu bemerken schien.
»Than Sull! Weshalb zögert Ihr? Warum ruft Ihr nicht Euren dienstbaren Geist herbei?«
»Sein Name«, murmelte Mumber Sull. »Ich kann mich nicht an ihn erinnern. Und er muß beim Namen gerufen werden.«
Die Antwort ließ Polderbag erstarren. Cugel gab jegliche Hoffnung auf, die er in den Zauber des Thans gelegt hatte, und überlegte verzweifelt einen Ausweg. Er könnte die Wachen hereinlassen und Sull verwandeln, wie er es im Mauthaus versehentlich getan hatte, und sich während des zweifellosen Durcheinanders aus dem Staub machen. Aber die Kette war noch gerissen. Vielleicht, wenn er sie sich um den eigenen Hals wand? Möglicherweise verlieh sie ihm die Kraft, die Wachen zu töten und aus der Stadt zu fliehen. Aber in was würde er sich verwandeln? Ihn graute, daran zu denken. Doch die Bewegungen unter der Decke wurden immer heftiger. Gewiß würde die Matrone bald zu schreien beginnen. Hastig holte er das Amulett hervor und wickelte sich die Kette um den Hals.
Nichts geschah. Er starrte auf seine Hände. Sie blieben dieselben. Fluchend steckte er das Amulett wieder ein. Er sprang auf Polderbag zu, der immer noch hilflos Mumber Sull anstarrte.
»Polderbag! Alles hängt von unserem klaren Kopf ab. Erinnert Ihr Euch noch, welche Worte des Zauberspruchs Ihr verwechselt habt? Könnt Ihr ihn nicht jetzt richtig anwenden?«
»Der Bannspruch«, murmelte Polderbag überlegend. Er rang die Hände. Noch heftiger wurden die Bewegungen unter der Decke.
»Jetzt habe ich ihn!« rief Mumber Sull plötzlich triumphierend. »Sein Name ist Prawlk! Prawlk!« Im nächsten Augenblick sprangen alle drei Exorzisten erschrocken zurück, als sich ein haarloser orangefarbiger Homunkulus vor ihnen materialisierte. »Es funktioniert!« schrie Sull begeistert.
»Dann befehlt ihm schnell!« drängten Polderbag und Cugel gleichzeitig. Wieder richtete der Than sich hoch auf und wandte sich an die orangene Kreatur. »Sei gegrüßt, gehorsamer Prawlk. Ich bin dein Herr und Meister, Mumber Sull, Hafenthan von ...« Das Wesen, das die drei Männer offenbar völlig uninteressant fand, drehte sich zu dem Tisch um, wo die Bewegungen noch hektischer geworden waren.
Mumber Sull runzelte die Stirn über diese Nichtachtung und donnerte streng: »Prawlk! Hör meine Befehle!« Der Homunkulus achtete überhaupt nicht auf ihn. Er sprang auf den Tischrand und spähte unter das turbulente Tuch. Dann setzte er sich daneben und baumelte überlegend mit den dünnen orangenen Beinen. Kurz danach schien er zu einem Entschluß gekommen zu sein. Wieder hob er die Decke. Und diesmal kroch er selbst darunter.
Die drei Exorzisten sahen fasziniert zu, ohne im Augenblick daran zu denken, daß ihr Leben vom Ausgang dieses Dramas abhing.
Die Bewegungen erreichten einen Höhepunkt, dann war ein lüsterner Seufzer zu vernehmen, und gleich darauf ertönte die schrille Stimme einer Frau, die
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