Reise in die Unterwelt
mit unvorstellbarer Geschwindigkeit von eins bis zweihundertsiebenunddreißig zählte, ehe sie innehielt, um Atem zu schöpfen.
Beim Erklingen der lauten Stimme wurden Polderbags Knie weich. »Das wird sofort die ganze Synode herbeirufen. Die Streckbank ist uns sicher!« heulte er in panischer Angst. Cugel schüttelte ihn heftig. »Der Bannspruch! Schnell! Wir haben nichts mehr zu verlieren! Versucht, den Inkubus zu vertreiben!«
Polderbag faßte sich ein wenig und drückte beide Hände gegen die Schläfen. Die Decke begann wild zu hüpfen. Die Frauenstimme hatte begonnen, ein kompliziertes Rezept für die Zubereitung von Newtfrikassee herunterzuleiern. Des öfteren wurde sie jedoch von kreischendem Gelächter und gurgelnden Lauten ihrer Bett- oder vielmehr Tischgenossen übertönt. Jemand pochte heftig an die Tür.
Ein grimmiger Ausdruck zog über das Gesicht des fetten Zauberers. Auf der Treppe waren bereits die Schritte der alarmierten Standhaften zu hören. Polderbag holte tief Luft und stieß den Bannspruch hervor.
Unter der Decke, die sich allerdings immer noch wölbte, wurde es still, als lauschten alle darunter seinen Worten. Sull, Cugel und Polderbag standen wie angefroren, in Angst vor dem Kommenden. Draußen raspelten Feilen an den Türangeln, aber darauf achteten sie kaum. Polderbag rang die Hände und flüsterte verzweifelt: »Ich habe einen Fehler gemacht. Dessen bin ich ganz sicher. Was wird geschehen? Weshalb diese schreckliche Ruhe?«
Da deutete Cugel mit einem Aufschrei an die Zimmerwand. Ein riesiger Schatten drang aus der Mauer und schwebte, ohne Form anzunehmen, in den Raum. »Als ob es sich zuerst ein Bild zu machen versucht«, raunte Sull.
Und plötzlich schoß der Schatten geradewegs auf den Tisch zu. Polderbag schrie und gestikulierte zitternd. Unzählige Schattenarme wanden sich aus dem Fußboden und griffen ebenfalls unter das graue Tuch. Doch das war nicht genug. Aus der Zimmerdecke löste sich ein grünes, gelatinöses Wesen, das einer riesigen Heuschrecke glich.
»Draußen sind sie auch!« brüllte Cugel. »Hört!« Das Raspeln der Feilen war verstummt und wurde durch hastende Schritte und Schreckensschreie ersetzt.
»Ein Tor hat sich geöffnet!« wimmerte Polderbag. »Ohne es zu beabsichtigen, beschwor ich die Wesenheiten in Massen herbei. Jetzt ist Waddlawg entdeckt. Von weit und breit werden sie nun herbeiströmen, um sich an dem reichen jungfräulichen Psychoplasma zu ergötzen.«
»Kommt!« drängte Cugel mit plötzlicher Hoffnung. »Vielleicht können wir uns noch ungehindert entfernen. Die Ektoplasmen bevorzugen doch jungfräuliche Kost. Und was die Standhaften betrifft, nun, sie werden zu beschäftigt sein, als daß sie Zeit fänden, uns aufzuhalten.«
»Beabsichtigt Ihr vielleicht gar, die Matrone im Stich zu lassen?« entrüstete sich der Than. »Es ist unsere Pflicht, ihr beizustehen.«
»Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen?« keuchte Cugel. Da sah er etwas, das ihn aufatmen ließ. Er deutete: »Seht!« Die bewegte graue Decke hatte sich vom Tisch erhoben, der nun leer zurückblieb. Wirbelnd tänzelte die vielfach gefüllte Decke durch die Luft und verschwand schließlich durch die Wand.
»Unsere Schutzbefohlene ist geflohen, und das sollen auch wir tun.« Der Than nickte. Cugel sperrte die Tür auf und spähte hinaus, dann öffnete er sie weit. »Der Weg ist frei!« rief er.
Auf dem Gang, der Treppe, im Vorraum, überall lagen die besiegten Standhaften herum, alle auf seltsame Weise besessen. Schäumende Lippen babbelten irres Zeug, und ein Erhabener Standhafter warf eine Matrone mit seinem Meditationsstein zu Boden; ehe er sich auf sie stürzte. Draußen belagerten die besessenen Synodenmitglieder die Häuser ihrer Mitbürger. Sie zerrten deren Frauen und Töchter auf die Straße und wurden ihrerseits von deren Vätern, Gatten und Söhnen bedrängt.
»Wir müssen westwärts fliehen«, erklärte Polderbag. »Denn die Kluft von Yawrn ist nur in einer Richtung begehbar, außer«, er blickte seine beiden Begleiter hoffnungsvoll an, »der Mautner ist tatsächlich tot.«
Cugel schüttelte den Kopf. »Er lebt noch, abgesehen davon müssen wir ohnehin nach Westen.« Sull nickte zustimmend.
»Dann muß ich es wohl auch«, murmelte Polderbag. »Und es ist vielleicht gar nicht so schlecht.« Sein Gesicht hellte sich auf. »Der Beruf des Zauberers ist anstrengend und nicht sehr profitabel. Und Millions Gather ist trotz seiner Verseuchung verhältnismäßig sicher
Weitere Kostenlose Bücher