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Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Titel: Reise mit Hindernissen nach England und Schottland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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kleines Segel zu hissen, um Cramby Point anzusteuern, und nach vielen erfolglosen Anstrengungen erreichte er schließlich die Mole. Jetzt mußten sie noch bis zur Plattform über eine lotrechte, ins Meer herabhängende Leiter hochklettern, deren Sprossen mit Unkraut und Seetang überzogen waren, Ablagerungen der zurückweichenden Flut. Nachdem die Reisenden sich zwanzigmal um ein Haar den Hals gebrochen hätten, standen sie tropfnaß neben Reverend S., der ihnen eine triefende Hand entgegenstreckte.
    »Ich heiße Sie willkommen, meine Herren«, sagte er in seinem reinen Französisch, »und bitte Sie, dieses ärgerliche Wetter zu entschuldigen!«
    »Reisende wie wir«, antwortete Jacques, »sind immer bereit, eine Auge zuzudrücken.«
    »Der Regen wird stärker«, fügte Mister S. hinzu. »Gehen wir lieber in die Herberge am anderen Ende der Mole.«
    Jacques und Jonathan folgten dem Reverend; seine Pfarrkinder nahmen ihn herzlich gern in ihrem abgeschiedenen Hause auf. Schon wenig später loderte ein prasselndes Feuer im Kamin, und die drei Reisenden verschwanden im dicken Dampf, der ihren Kleidern entströmte. Nach einigen Minuten schienen die Windstöße etwas schwächer zu werden, und tapfer machte sich Mister S. wieder auf den Weg nach O.
    Sie folgten ungefähr eine Meile lang dem Ufer des Forth; der Strand war ziemlich steinig, unberührt, flach und wellig, doch bald drang der Pfad unter hohen, rieselnden Bäumen ins Landesinnere vor. Unter diesen Bedingungen war jedes Gespräch unmöglich; der Reverend ging voran, gefolgt von Jacques, und dahinter kam Jonathan; der gewundene Weg schlängelte sich über dieses hügelige Gelände, unter dem sich der reichste Teil der schottischen Steinkohlelager erstreckt. Er wäre höchstens für die kleinen Pferde dieses Landstrichs begehbar gewesen, die eine Vorahnung von den Ponys im Norden geben; rings um einen entlegenen Bauernhof breiteten sich endlose Weideflächen aus, die mit friedlich im Regen grasenden Tieren übersät waren. Jacques fielen vollkommen hornlose Kühe auf und kleine, seidige Wollschafe, die man für Kinderspielzeug hätte halten können. Der Schäfer dieser riesigen Herden saß wahrscheinlich geschützt unter irgendeinem Fels und ließ sich nicht blicken; aber der Collie, ein für diese Gegend typischer Hund, der für seinen Fleiß und seine Wachsamkeit bekannt ist, streifte um die Weide herum und sammelte die versprengten Tiere ein.
    Der Reverend machte sie auf die erstaunliche Fruchtbarkeit des Bodens aufmerksam, den sie überquerten, während sie sich allmählich vom Forth entfernten. In diesen südlichen Grafschaften, die einst mit Tannen und Eichen bedeckt waren, wird heute mit viel Vernunft und guten Erträgen der Anbau von Weizen, Gerste und Roggen betrieben; doch im allgemeinen ist der schottische Boden, bedingt durch das feuchte Klima, dem englischen weit unterlegen. Im übrigen erinnerte der Anblick dieser Fluren in nichts an die Fluren Frankreichs; in der Einteilung der Felder, ihren dichten Umzäunungen, der Anordnung von Baumgruppen, in dieser ganz besonderen Atmosphäre lagen bestimmte Unterschiede, die der Verstand eher spürte, als daß er sie analysierend erforschte. Jacques fand hier jenes felsenfeste Gefühl einer neuen Natur, das der Reisende fern der Heimat sucht. Nach eineinhalb Stunden Fußmarsch verkündete der Reverend, daß sie O. nahe waren; die Pariser gingen bereits durch den Park, der das Schloß umgibt, obwohl sie sich noch auf freiem Feld wähnten. Hinter einer breiten Eichenwand rollte sich eine stattliche, mit Sand bestreute Allee unter ihren Schritten aus, und während Wind und Regen noch einmal stärker wurden, erreichten sie einen Seiteneingang des Wohngebäudes, ohne daß es ihnen möglich gewesen wäre, sein äußeres Erscheinungsbild in Augenschein zu nehmen.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Auf den Spuren von Walter Scott
    Ein Kammerdiener, oder besser gesagt eine Art Schloßverwalter in schwarzem Frack, empfing sie in einem prunkvollen Vorzimmer, das mit ungewöhnlich schönen Schränken und Sitzgelegenheiten ausgestattet war.
    »Nehmen Sie den Herren ihre Mäntel ab«, sagte Mister S., »und legen Sie ihnen Kleider zum Umziehen bereit; doch als allererstes wollen wir uns einen Augenblick in den Speisesaal begeben und uns an einem wärmenden Tropfen laben.«
    Mit diesen Worten ging er seinen Gästen voraus in einen weitläufigen Saal, der von hohen Fenstern erhellt wurde; hier waren alle Künste des modernen Luxus

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