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Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Titel: Reise mit Hindernissen nach England und Schottland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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glauben, bei stürmischem Meer, wenn man seekrank …«
    Der liebenswerte Musikus wußte, wovon er sprach. Plötzlich blieb sein Blick an einem Winkel des Saales hängen, und er zeigte Jacques das Fach einer Anrichte.
    »Dort ist die Quelle des Übels!«
    »Was ist das bloß?«
    »Ein riesiger Chester, der vergessen wurde!«
    »Du meinst wohl, der sich vergessen hat!« antwortete Jacques.
    Und als der Waiter hereinkam, gelang es den beiden Freunden, nicht ohne eine gewisse Mühe, dieses grauenvolle Nahrungsmittel entfernen zu lassen.
    Nachdem die beiden Freunde eine angemessene Portion kaltes Schaffleisch, Schinken aus York und Tee zu sich genommen hatten, stürmten sie in die Straßen dieser unbekannten Stadt hinaus; sie wollten ihr Aussehen noch an diesem finsteren Abend erkunden. Recht schöne Plätze, breite Straßen, schwarze Häuser, düster wie Geschäfte und trostlos wie Fabriken, eine vage Ähnlichkeit mit Liverpool, alle unpoetischen Einzelheiten einer Industriestadt – so lautete ihre Feststellung.
    »Wir sind nicht mehr in Schottland«, sagte Jacques, »und morgen werden wir inmitten klopfender Hämmer und verrauchter Industrieluft erwachen.«
    Der Zufall, dieser Lieblingsgott der Spaziergänger, führte sie bis ans Ufer des Clyde, zur Glasgow Bridge: Zahlreiche Handelsschiffe und Steamboats lagen in der Nähe dieser Brücke vor Anker, der letzten, die sich über den Fluß spannt, bevor er in den Nordkanal mündet. Von dieser Stelle aus entdeckten sie einen ausgedehnten roten Lichtschein, aus dem sie nicht richtig klug wurden; ein Teil des Himmels sah wie ein flammender Bogen aus, denn er wurde von Blitzen und Strahlenbündeln durchzuckt. Jonathan dachte an eine Feuersbrunst, Jacques neigte eher zur Auffassung, es handle sich um den Widerschein lodernder Hochöfen; sie irrten sich alle beide und fanden später heraus, daß sie, ohne etwas davon zu ahnen, jenes denkwürdige Nordlicht des 30. August 1859 gesehen hatten. Durch breite Straßen, auf deren Häusern Jacques Argyle Street und Buchanan Street zu lesen vermochte, kehrten sie ins Comrie’s Royal Hotel zurück; sie waren ein wenig erschöpft von diesem verregneten, sonnigen und windigen Tag, und außerdem wollten sie früh aufstehen, um sich vor ihrem Aufbruch zu den Seen noch eine kleine Vorstellung von dieser Industriestadt zu verschaffen.
    Große Betten, die durch ihre schmalen Laken noch gewaltiger wirkten, warteten in einem riesigen Zimmer mit gestrichenen Deckenbalken auf sie. Es sah ein wenig unheimlich aus, und Jonathan konnte nicht anders, als sich und seinen Freund mit Edwards Kindern zu vergleichen; das Gemälde von Paul Delaroche kam ihm in den Sinn, und schaudernd dachte er an den Schatten des grausamen Tyrell. Aber da sie von ihrer Abstammung nicht königlich genug waren, um im Schlaf ermordet zu werden, und ihre Familien darüber hinaus auch nicht den kleinsten Richard III. aufzuweisen hatten, erwachten sie im Morgengrauen, wie einfache und neugierige Reisende es zu tun pflegen. Die Rechnung wurde bezahlt, und sie verließen das Comrie’s Royal Hotel im Laufschritt.
    Die Straßen waren bereits von einer geschäftigen Menschenmenge überfüllt, was Jonathan nicht länger wunderte, nachdem Jacques ihm erzählt hatte, daß die Bevölkerung seit Beginn des Jahrhunderts von fünfundsiebzigtausend auf dreihundertfünfzigtausend Einwohner gewachsen war. Hier fanden sie das wahre Gesicht Liverpools wieder: öffentliche Gebäude, die wie historische Bauwerke aussehen, schwarz geworden vom Dunst und Rauch der Steinkohle. In der Mitte des George Square standen die Denkmäler von Walter Scott und James Watt, zweier großer, im Angedenken vereinten Männer; doch ohne Inschrift hätte man den Romancier leicht für den Erfinder der Dampfmaschine und den Mechaniker für den Verfasser des
Schönen Mädchens von Perth
halten können, so ähnlich sahen sie sich.
    Der Tag begann unter mißlichen Auspizien, vom Himmel fiel jener für England so typische Regen, der einen mehr schmutzig als naß macht; doch sie waren hier, um etwas zu sehen, also mußte gegangen werden, und Jacques machte sich über die George Street auf den Weg zu der einigermaßen berühmten Kathedrale.
    »Immer dieselben Namen und dieselben Straßen«, sagte er.
    Zu dieser morgendlichen Stunde trieben die Countrymen aus der Umgebung ihre Pferde, die vor Karren mit Gemüse und Obst gespannt waren, zu den Märkten der Stadt. Sie feuerten sie mit dem Ausruf
whig a mor, whig a more, los

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