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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Minuten wiegte und wand er sich unter Sprechen und Lachen hin und her.
    Ich glaubte, er habe den Verstand verloren. »Diese kleine Pflanze sagte mir eben, ich soll dir sagen, daß man sie essen kann«, sagte er und erhob sich aus seiner knienden Stellung. »Sie sagte, eine Handvoll von ihnen würden den Menschen gesund erhalten. Sie sagte auch, daß dort drüben ein ganzer Busch davon wächst.« Don Juan deutete auf eine Stelle an einem etwa zweihundert Meter entfernten Hang. »Gehen wir hin und sehen nach«, sagte er.
    Ich lachte über seine Verstellungskunst. Ich war sicher, wir würden die Pflanzen finden, denn er war in dieser Gegend zu Hause und wußte, wo die eßbaren und die medizinischen Pflanzen wuchsen.
    Während wir zu der fraglichen Stelle gingen, sagte er mir beiläufig, ich solle auf diese Pflanze acht geben, weil sie gleichzeitig Nahrungsmittel und Arznei sei. Ich fragte ihn halb im Scherz, ob die Pflanze ihm das gerade gesagt habe. Er blieb stehen und sah mich mit ungläubiger Miene prüfend an. Er wiegte den Kopf von einer Seite zur ändern. »Ach!« rief er lachend. »Deine Klugheit macht dich dümmer, als ich glaubte. Wie kann die kleine Pflanze mir heute etwas sagen, was ich schon mein Leben lang weiß?«
    Dann fuhr er fort, mir zu erklären, daß er schon seit langem die verschiedenen Eigenschaften dieser Pflanze kenne und daß die Pflanze ihm soeben gesagt habe, daß ein Büschel davon an der bezeichneten Stelle stehe, und daß sie nichts dagegen habe, wenn er mir dies sagte.
    Als wir an dem betreffenden Hang anlangten, fand ich eine ganze Menge dieser selben Pflanzen. Ich wollte lachen, aber er ließ mir nicht die Zeit dazu. Er wollte, daß ich dem Büschel Pflanzen Dank sagte. Ich fühlte mich unerträglich befangen und konnte mich nicht überwinden, es zu tun.
    Er lächelte wohlwollend und gab wieder einen seiner rätselhaften Sprüche von sich. Er wiederholte ihn drei- oder viermal, als wollte er mir Zeit geben, hinter den Sinn zu kommen. »Die Welt um uns her ist ein Geheimnis«, sagte er. »Und wir Menschen sind nicht besser als alles übrige. Wenn eine kleine Pflanze uns gegenüber großzügig ist, müssen wir ihr danken, sonst wird sie uns vielleicht nie mehr in Ruhe lassen.« Die Art, wie er mich ansah, als er dies sagte, ließ mich frösteln. Eilig beugte ich mich über die Pflanze und sagte mit lauter Stimme: »Danke!« Er fing an, beherrscht und leise zu lachen.
    Wir wanderten noch eine Stunde umher und machten uns dann auf den Weg zurück zu seinem Haus. Irgendwann blieb ich zurück, und er mußte auf mich warten. Er kontrollierte meine Finger, um zu sehen, ob ich sie eingekrümmt hatte. Gebieterisch sagte er, daß ich, immer wenn ich mit ihm ginge, sein Verhalten beobachten und nachahmen müsse, sonst brauche ich gar nicht erst mitzukommen. »Ich kann nicht auf dich warten, als wärest du ein Kind«, sagte er tadelnd. Diese Äußerung stürzte mich in tiefe Verwirrung und Verlegenheit. Wie war es nur möglich, daß ein so alter Mann so viel besser laufen konnte als ich? Ich hielt mich für athletisch und kräftig, und doch hatte er tatsächlich auf mich warten müssen, damit ich ihn einholte.
    Ich krümmte meine Finger einwärts, und seltsamerweise konnte ich nun ohne jede Anstrengung mit seinem enormen Tempo Schritt halten. Ich hatte sogar manchmal das Gefühl, als zögen meine Hände mich vorwärts.
    Ich fühlte mich beschwingt. Es machte mich glücklich, gedankenlos neben dem seltsamen alten Indianer herzulaufen. Ich begann zu sprechen und fragte ihn mehrmals, ob er mir nicht Peyote-Pflanzen zeigen wolle. Er sah mich an, sagte aber kein Wort.

4. Der Tod ist ein Ratgeber
Mittwoch, 25. Januar 1961
    »Wirst du mich heute etwas über Peyote lehren?« fragte ich. Er antwortete nicht und sah mich einfach an, als ob ich verrückt sei, wie er es schon früher getan hatte. Ich hatte das Thema schon verschiedentlich beiläufig und gesprächsweise erwähnt, und jedesmal hatte er die Stirn gerunzelt und den Kopf geschüttelt. Es war weder eine Bestätigung noch eine Verneinung gewesen. Eher war es eine Geste der Verzweiflung und des Unglaubens.
    Er stand plötzlich auf. Wir hatten vor seinem Haus auf dem Boden gesessen. Eine fast unmerkliche Kopfbewegung lud mich ein, ihm zu folgen.
    Wir gingen in südlicher Richtung in den Wüsten-Chaparral. Während wir ausschritten, meinte er wiederholt, daß ich mir der Sinnlosigkeit meiner eigenen Wichtigkeit und meiner persönlichen Geschichte

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