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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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morgens schwimmen zu gehen, übernommen, dann wärst du notfalls allein schwimmen gegangen, oder du hättest ihm gleich beim erstenmal, sobald er nur den Mund auftat, deine Meinung gesagt, nachdem du seine Ausflüchte kanntest. Du aber hast nichts gesagt. Daher warst du genauso schwach wie dein Vater.  Die Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen, heißt bereit sein, für sie zu sterben.«
    »Halt, halt!« rief ich, »Du verdrehst die Dinge.« Er ließ mich nicht ausreden. Ich wollte ihm sagen, daß ich meinen Vater nur als Beispiel für unrealistisches Handeln angeführt hatte und daß niemand, der recht bei Trost ist, bereit sei, für etwas so Albernes zu sterben, wie um sechs Uhr morgens schwimmen zu gehen.
    »Es kommt nicht auf die Art der Entscheidung an«, sagte er, »nichts ist ernster oder weniger ernst als alles übrige. Siehst du das nicht? In einer Welt, wo der Tod der Jäger ist, gibt es keine kleinen oder großen Entscheidungen. Es gibt nur Entscheidungen, die wir angesichts unseres unausweichlichen Todes treffen.« Ich konnte nichts entgegnen. Es verging etwa eine Stunde. Don Juan saß völlig reglos auf seiner Matte, obwohl er nicht schlief. »Warum sagst du mir das alles, Don Juan?« fragte ich. »Warum machst du das mit mir?«
    »Du bist zu mir gekommen«, sagte er. »Nein, das stimmt nicht, du wurdest mir geschickt, und ich hatte ein Zeichen mit dir.«
»Wie bitte?«
    »Du hättest ein Zeichen mit deinem Vater haben können, wenn du für ihn schwimmen gegangen wärest, aber du hast es nicht getan, vielleicht, weil du zu jung warst. Ich lebe schon länger als du. Auf mich wartet nichts Unerledigtes. In meinem Leben ist keine Kilo, deshalb kann ich es mir leisten, ein Zeichen mit dir zu haben.« Am Nachmittag machten wir eine Wanderung. Ich konnte leicht mit ihm Schritt halten und wunderte mich wieder über seine erstaunliche körperliche Tüchtigkeit. Er ging so behend und mit so sicheren Schritten dahin, daß ich mir neben ihm wie ein Kind vorkam. Wir gingen in östlicher Richtung. Dabei bemerkte ich, daß er nicht gern im Gehen sprach. Immer, wenn ich etwas zu ihm sagte, blieb er stehen, um mir zu antworten. Nach ein paar Stunden kamen wir zu einem Hügel. Er setzte sich und forderte mich durch ein Zeichen auf, mich neben ihn zu setzen. Mit spöttisch übertriebener Dramatik kündigte er an, daß er mir eine Geschichte erzählen wolle. Es war einmal ein junger Mann, sagte er, ein armer Indianer, der bei den Weißen in der Stadt lebte. Er hatte kein Zuhause, keine Verwandten, keine Freunde. Er war in die Stadt gekommen, um sein Glück zu machen, und hatte nur Elend und Schmerz gefunden. Von Zeit zu Zeit verdiente er ein paar Cents, für die er wie ein Steinesel arbeitete, kaum genug für einen Bissen Brot; sonst mußte er um Essen betteln oder stehlen.
    Eines Tages, sagte Don Juan, ging der junge Mann auf den Markt. Wie benommen ging er die Straße auf und ab und sah mit hungrigem Blick all die guten Dinge, die dort versammelt waren. Er war so außer sich, daß er nicht sah, wohin er trat, und schließlich stolperte er über ein paar Körbe und stürzte gegen einen alten Mann. Der alte Mann trug vier gewaltige Kalebassen und hatte sich gerade hingesetzt, um sich auszuruhen und etwas zu essen. Don Juan lächelte wissend und sagte, es sei dem alten Mann recht seltsam vorgekommen, daß der junge Mann über ihn stolperte. Er war nicht böse wegen der Störung, nur wunderte er sich, warum gerade dieser junge Mann über ihn gestürzt war. Der junge Mann dagegen wurde wütend und sagte, er solle ihm aus dem Weg gehen. Er kümmerte sich gar nicht mehr um den eigentlichen Grund ihres Zusammentreffens. Er hatte nicht bemerkt, daß ihre Wege sich wirklich gekreuzt hatten.
    Don Juan ahmte die Bewegungen eines Menschen nach, der hinter einem davon rollenden Gegenstand herspringt. Die Kalebassen des alten Mannes, sagte er, waren umgefallen und rollten die Straße hinab. Als der junge Mann die Kalebassen sah, wußte er, daß er sein Essen für diesen Tag gefunden hatte. Er half dem alten Mann auf die Beine und bestand darauf, ihm die schweren Kalebassen tragen zu helfen. Der alte Mann sagte, er sei unterwegs zu seinem Haus in den Bergen und der junge Mann bestand darauf, zumindest ein Stück Weges mit ihm zu gehen. Der alte Mann schlug die Straße in die Berge ein, und während sie gingen, gab er dem jungen Mann einen Teil der Lebensmittel, die er auf dem Markt gekauft hatte. Der junge Mann aß aus

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