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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Juan, sei seine Weigerung gewesen, seine offensichtlich falschen Entschlüsse aufzugeben. Jeden Morgen wiederholte er dieses Ritual, bis ich schließlich seine Gefühle verletzte, indem ich mich weigerte, den Wecker zu stellen.
    »Das waren keine falschen Entschlüsse«, sagte Don Juan, der offenbar die Partei meines Vaters ergriff. »Er konnte einfach nicht das Bett verlassen, das ist alles.«
»Auf jeden Fall«, sagte ich, »bin ich immer mißtrauisch gegenüber unrealistischen Entschlüssen.«
    »Und was wäre denn ein realistischer Entschluß?« fragte Don Juan mit verhaltenem Lächeln.
    »Wenn mein Vater sich gesagt hätte, daß er nicht um sechs Uhr morgens, sondern  vielleicht erst um drei Uhr nachmittags schwimmen gehen wollte.«
    »Deine Entschlüsse verstoßen gegen den Geist«, sagte Don Juan mit sehr ernster  Miene. Ich meinte sogar einen Anflug von Trauer in seiner Stimme zu bemerken. Wir schwiegen lange. Mein Unwille war verflogen. Ich dachte an meinen Vater. 
    »Er wollte nicht um drei Uhr nachmittags schwimmen. Siehst du das nicht ein?«  fragte Don Juan. Seine Worte ließen mich auffahren.
    Ich sagte Don Juan, daß mein Vater schwach gewesen sei, genau wie seine Welt idealer Taten, die er nie ausgeführt habe. Ich schrie beinah.
    Don Juan sagte kein Wort. Er wiegte langsam und rhythmisch den Kopf. Ich war furchtbar traurig. Es machte mich immer schwermütig, an meinen Vater zu denken. »Du hieltest dich für stärker, nicht wahr?« fragte er beiläufig. »Ja, das tat ich«, sagte ich und begann, ihm von all den emotionellen Qualen zu erzählen, die mein Vater mir zugefügt hatte, aber er unterbrach mich. »War er gemein zu dir?« fragte er. »Nein.«
»War er dir gegenüber kleinlich?«
»Nein«. »Tat er für dich alles, was er konnte?«
»Ja.«
    »Was war dann an ihm auszusetzen?«
    Wieder schrie ich, er sei schwach gewesen, aber dann fing ich mich wieder und mäßigte meine Stimme. Ich kam mir lächerlich vor, von Don Juan ins Kreuzverhör genommen zu werden. »Warum tust du dies alles?« fragte ich. »Wir wollten doch über Pflanzen sprechen.«
    Ich war verärgerter und verzagter denn je. Ich sagte ihm, es sei nicht seine Aufgabe, und er bringe auch nicht die geringsten Voraussetzungen mit, um Urteile über mein Verhalten abzugeben, er aber brach in ein herzhaftes Lachen aus. »Wenn du wütend wirst, dann fühlst du dich immer im Recht, nicht wahr?« meinte er und blinzelte wie ein Vogel. Er hatte recht. Ich neigte dazu, mich im Recht zu fühlen, wenn ich wütend war.
    »Laß uns nicht über meinen Vater sprechen«, sagte ich und täuschte gute Laune vor. »Laß uns über Pflanzen sprechen.«
»Nein, laß uns über deinen Vater sprechen«, beharrte er. »Das ist der Punkt, von dem wir heute ausgehen müssen. Wenn du glaubst, daß du soviel stärker warst als er, warum bist du dann nicht an seiner Stelle um sechs Uhr morgens schwimmen gegangen?« Ich sagte, ich könne nicht glauben, daß er mich dies ernstlich frage. Ich hätte immer angenommen, es sei die Sache meines Vaters gewesen, um sechs Uhr schwimmen zu gehen, nicht die meine. »Von dem Augenblick an, als du seinen Vorschlag akzeptiertest, war es auch deine Angelegenheit«, fuhr Don Juan mich an. Ich sagte, ich hätte sie nie akzeptiert und immer gewußt, daß mein Vater nicht ehrlich zu sich selbst war.
    Don Juan fragte mich ganz nüchtern, warum ich nicht damals meine Meinung geäußert hätte.
    »So etwas sagt man nicht zu seinem Vater«, brachte ich als schwache Rechtfertigung vor. »Warum denn nicht?«
    »Bei mir zu Hause tat man so etwas nicht, das ist alles.«
»Du hast schlimmere Sachen bei dir zu Hause gemacht«, erklärte er wie ein Richter und von oben herab. »Das einzige, was du nie getan hast, war, deinen Geist zusammenzunehmen.« In seinen Worten lag eine so niederschmetternde Kraft, daß sie in mir widerhallten. Sie zerbrachen all meine Verteidigungsversuche. Ich konnte nicht mit ihm streiten. Ich nahm Zuflucht zu meinen Aufzeichnungen.
    Ich versuchte eine letzte schwache Erklärung und sagte, ich sei mein Leben lang immer wieder Menschen von der Art meines Vaters begegnet, die mich, genau wie er, irgendwie in ihre Pläne einbauten, und in der Regel hatte ich dann immer in der Luft gehangen.
    »Du beklagst dich«, sagte er sanft. »Du hast dich dein Leben lang beklagt, weil du nicht die Verantwortungen für deine Entscheidungen übernimmst. Hättest du die Verantwortung für den Vorschlag deines Vaters, um sechs Uhr

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