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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Ein plötzlicher Windstoß ließ Don Juan mit einem unglaublich behenden Satz auffahren.
    »Verflucht!« sagte er. »Der Wind sucht nach dir.«
»Das kann ich dir nicht abnehmen, Don Juan«, sagte ich lachend. »Wirklich, das kann ich nicht.«
    Ich war nicht eigensinnig, es war mir einfach unmöglich, die Vorstellung zu akzeptieren, daß der Wind einen eigenen Willen hatte und nach mir suchte, oder daß er gar uns ausfindig gemacht hatte und vom Gipfel jenes Berges herabgekommen sei. Die Vorstellung von einem „Wind mit eigenem Willen", sagte ich, sei eine ziemlich naive Weltauffassung.
    »Was ist der Wind denn sonst?« fragte er herausfordernd. Geduldig erklärte ich ihm, daß heiße und kalte Luftmassen verschiedenen Luftdruck erzeugen und daß der Druck die Luftmassen in vertikale und horizontale Bewegung bringt. Ich brauchte einige Zeit, um alle Einzelheiten der meteorologischen Grundkenntnisse zu erläutern. »Du glaubst, daß an dem Wind nichts anderes dran ist, als heiße und kalte Luft?« fragte er verwundert.
    »Ich fürchte, so ist es«, sagte ich und genoß heimlich meinen Triumph.
    Don Juan schien überrascht. Aber dann sah er mich an und fing schallend an zu  lachen.
    »Deine Überzeugungen«, sagte er mit einem Anflug von Sarkasmus, »sind endgültig.  Sie sind das letzte Wort, nicht wahr? Für einen Jäger aber sind deine Überzeugungen einfach Blödsinn. Es ist gleichgültig, ob der Druck ein oder zwei oder zehn Einheiten beträgt. Wenn du hier draußen in der Wildnis lebtest, dann wüßtest du, daß der Wind sich in der Dämmerung in Kraft verwandelt. Ein Jäger, der sein Salz wert ist, handelt dementsprechend.«
    »Wie handelt er?«
    »Er nutzt die Dämmerung und die im Wind verborgene Kraft.«
»Wie?«
    »Wenn es ihm paßt, dann verbirgt der Jäger sich vor der Kraft, indem er sich bedeckt  und reglos verharrt, bis die Dämmerung vorüber ist und die Kraft ihn in ihren Schutz eingehüllt hat.« Don Juan machte eine Gebärde, als wickele er mit den Händen etwas ein.
    »Ihr Schutz ist wie ein.«
    Er hielt inne und suchte nach einem Wort, und ich schlug vor: „Kokon".
    »Das ist es«, sagte er. »Der Schutz der Kraft hüllt dich ein wie ein Kokon. Ein Jäger  kann im Freien bleiben, und kein Puma oder Coyote oder schmieriger Käfer kann ihn belästigen. Ein Berglöwe könnte bis an die Nase des Jägers herankommen und ihn beschnuppern, und wenn der Jäger sich nicht bewegt, dann wird der Löwe fortgehen. Das versichere ich dir. Wenn der Jäger hingegen bemerkt werden will, braucht er sich nur zur Zeit der Dämmerung auf einen Berggipfel zu stellen, und die Kraft wird die ganze Nacht hindurch an ihm herumzerren und ihn heimsuchen. Wenn daher ein Jäger nachts unterwegs ist oder wenn er wach bleiben will, muß er sich für den Wind erreichbar machen.
    Darin liegt das Geheimnis der großen Jäger: genau an der richtigen Wegbiegung erreichbar oder unerreichbar zu sein.« Ich war etwas verwirrt und bat ihn, diesen Punkt zu wiederholen. Don Juan erklärte ganz geduldig, daß er die Dämmerung und den Wind benutzt habe, um die entscheidende Bedeutung des Zusammenspiels zwischen Sich-Verbergen und Sich-Zeigen zu demonstrieren.
    »Du mußt lernen, willkürlich erreichbar und unerreichbar zu sein«, sagte er. »So wie du jetzt lebst, bist .du jederzeit erreichbar, ohne es zu wollen.«
    Ich protestierte. Ich hatte den Eindruck, daß mein Leben immer diskreter wurde. Er sagte, ich hätte diesen Punkt nicht verstanden, unzugänglich sein bedeute nicht etwa, sich zu verstecken oder diskret zu leben, sondern unerreichbar zu sein. »Ich will es anders ausdrücken«, fuhr er geduldig fort. »Es ist sinnlos, sich zu verstecken, wenn jeder weiß, daß du dich versteckst. Gerade das ist der Ursprung deiner augenblicklichen Probleme. Wenn du dich versteckst, weiß jeder, daß du dich versteckst, und wenn du es nicht tust, bist du für jeden erreichbar, der dir eins versetzen will.«
    Ich fühlte mich allmählich bedroht und versuchte eilends, mich zu verteidigen. »Rechtfertige dich nicht«, sagte Don Juan trocken. »Das ist nicht nötig. Wir alle sind Narren, und du bist da keine Ausnahme. Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich mich immer und immer wieder erreichbar machte, bis von mir nichts mehr übrig war, nur noch Tränen. Und ich weinte, genau wie du.« Don Juan maß mich mit einem kurzen Blick und seufzte laut. »Allerdings war ich da jünger als du«, fuhr er fort. »Aber eines Tages war ich es

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