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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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an, aber wir müssen dich anhalten.« Er sammelte die Zweige auf, die wir benutzt hatten, um uns zu bedecken, und häufte kleine Steine und Erde über ihnen auf. Dann brach jeder von uns, indem wir dieselben Bewegungen wie zuvor wiederholten, acht neue Zweige. Indessen blies der Wind unausgesetzt. Ich spürte, wie er mir das Haar über den Ohren zauste. Don Juan flüsterte mir zu, sobald er mich bedeckt hätte, solle ich nicht die geringste Bewegung oder das leiseste Geräusch machen. Schnell breitete er die Zweige über meinen Körper, legte sich dann nieder und bedeckte sich selbst. In dieser Lage blieben wir etwa zwanzig Minuten, und in dieser Zeit trat ein ganz außergewöhnliches Phänomen ein; der Wind war von einer starken, anhaltenden Brise in ein leichtes Vibrieren umgeschlagen.
    Ich hielt den Atem an und wartete auf Don Juans Zeichen. Irgendwann schob er die Zweige behutsam zur Seite. Ich tat das gleiche, und wir standen auf. Auf dem Gipfel war es sehr still. Da war nur ein weiches, sanftes Vibrieren der Blätter im angrenzenden Chaparral.
    Don Juans Augen waren starr auf eine Stelle in den Büschen südlich von uns fixiert. »Dort ist es wieder!« rief er laut.
    Ich sprang unwillkürlich hoch, verlor beinah das Gleichgewicht, und mit lauter, gebieterischer Stimme befahl er mir, hinzuschauen.
    »Was soll ich denn sehen?« fragte ich verzweifelt. Er sagte, daß es, der Wind oder was immer es sein mochte, wie eine Wolke oder ein Wirbel in einiger Höhe über den Büschen zum Gipfel herüberkreiste, wo wir standen.
    Ich sah in der Ferne, wie sich im Gebüsch eine Welle bildete. »Da kommt es«, sagte Don Juan mir ins Ohr. »Schau nur, wie es uns sucht.«
    Dann fuhr mir, wie schon vorhin, ein starker, stetiger Windstoß ins Gesicht. Diesmal aber war meine Reaktion eine andere. Ich war entsetzt. Ich hatte zwar nicht das gesehen, was Don Juan geschildert hatte, doch ich hatte gesehen, wie eine ganz unheimliche Wellenbewegung durch die Büsche wogte. Ich wollte meiner Angst nicht nachgeben und suchte bewußt nach irgendeiner passenden Erklärung. Ich sagte mir, es müsse regelmäßige Strömungen in der Luft geben, und Don Juan, der mit der ganzen Gegend gründlich vertraut war, kenne diese nicht nur, sondern sei auch in der Lage, ihr Auftreten vorauszuahnen. Alles, was ihm dann noch zu tun blieb, war, sich hinzulegen, zählen und warten, bis der Wind sich legte. Und sobald er aufstand, mußte er nur warten, bis er wiederkäme.
    Don Juans Stimme schreckte mich aus meinen stillen Überlegungen auf. Er sagte, es sei Zeit, aufzubrechen. Ich zögerte; ich wollte mich vergewissern, daß der Wind sich wieder legte. »Ich habe nichts gesehen, Don Juan«, sagte ich. »Trotzdem hast du etwas Ungewöhnliches bemerkt«. Vielleicht solltest du mir noch einmal sagen, was ich hätte sehen sollen.«
    »Das habe ich dir schon gesagt«, sagte er. »Manchmal verbirgt es sich im Wind und sieht dann aus wie ein Wirbel, eine Wolke, ein Nebel, ein herumwirbelndes Gesicht.« Don Juan deutete mit den Händen eine vertikale und eine horizontale Bewegung an. »Es bewegt sich in keiner bestimmten Richtung«, fuhr er fort. , -»Entweder es rollt, oder es wirbelt dahin. Ein Jäger muß dies alles wissen, um die richtigen Schritte zu tun.« Ich wollte eine ironische Antwort geben, aber offensichtlich bemühte er sich sehr, sich verständlich zu machen, so daß ich es nicht wagte. Er sah mich einen Moment an, und ich wandte die Augen ab.
    »Es ist dumm, wenn man glaubt, die Welt sei ausschließlich so, wie man sie sich vorstellt«, sagte er. »Die Welt ist ein geheimnisvoller Ort, besonders in der Dämmerung.« Er deutete mit dem Kinn gegen den Wind. »Das kann uns verfolgen«, sagte er. »Es kann uns müde machen oder uns sogar töten.«
»Dieser Wind?«
    »Um diese Tageszeit, in der Dämmerung, gibt es keinen Wind. Um diese Zeit gibt es nur Kraft.«
    Wir saßen eine Stunde lang auf dem Gipfel. Der Wind wehte die ganze Zeit heftig und stetig.
Freitag, den 30. Juni 1961
    Am Spätnachmittag, nach dem Essen, gingen Don Juan und ich auf den Platz vor seiner Haustür. Ich setzte mich auf „meine Stelle" und begann, meine Notizen niederzuschreiben. Er legte sich mit auf dem Bauch gefalteten Händen auf den Rücken. Wegen des „Windes" waren wir den ganzen Tag über im Haus geblieben.
    Don Juan erklärte, wir hätten den Wind willkürlich gestört, und es sei besser, nicht mit ihm zu spaßen. Ich hatte sogar mit Zweigen bedeckt schlafen müssen.

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