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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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»Wir sind nicht gleich. Ich bin ein Jäger und ein Krieger, und du bist ein Zuhälter.« Mir blieb der Mund offen. Ich konnte nicht fassen, daß Don Juan dies wirklich gesagt hatte. Ich ließ mein Notizbuch fallen und starrte ihn verblüfft an, und dann wurde ich natürlich wütend. Er sah mich ruhig und gesammelt an. Ich wich seinem Blick aus, und dann begann er zu sprechen. Er sprach jedes seiner Worte deutlich aus. Sie fielen ruhig und tödlich. Er sagte, daß ich für jemand anderen den Zuhälter spielte; daß ich nicht meine eigenen Kämpfe ausfocht, sondern die Kämpfe irgendwelcher Unbekannten; daß ich nichts über Pflanzen oder die Jagd oder sonst etwas lernen wolle; und daß seine Welt präziser Handlungen, Gefühle und Entscheidungen unendlich effektiver sei als die unbesonnene Idiotie, die ich „ein Leben" nannte.
    Als er aufhörte zu sprechen, war ich wie betäubt. Er hatte ohne Polemik oder Arroganz, aber mit solchem Nachdruck und solcher Ruhe gesprochen, daß ich nicht einmal böse sein konnte. Wir schwiegen. Ich war verstört und wußte nichts Passendes zu sagen. Ich wartete darauf, daß er das Schweigen brach. Stunden vergingen. Don Juan wurde allmählich immer regloser, bis sein Körper eine seltsame, beinah beängstigende Starre angenommen hatte; als es dunkelte, war seine Silhouette nur noch schwer zu erkennen, und schließlich, als die pechschwarze Nacht uns umgab, verschmolz er ganz mit der Schwärze der Steine. Seine Bewegungslosigkeit war so total, daß es schien, als existierte er nicht mehr. Es war Mitternacht, als ich schließlich erkannte, daß er hier, in dieser Wildnis, zwischen diesen Felsen vielleicht für immer bewegungslos sitzenbleiben konnte und dies, wenn nötig, auch tun würde. Seine Welt der präzisen Handlungen, Gefühle und Entscheidungen war tatsächlich überlegen. Ich berührte leise seinen Arm, und mir flossen die Tränen.

7. Unerreichbar sein
Donnerstag, 29. Juni 1961
    Wieder, wie seit einer Woche fast jeden Tag, faszinierte Don Juan mich mit seiner Kenntnis spezifischer Einzelheiten über das Verhalten des Wildes. Zuerst erklärte und dann demonstrierte er eine Reihe von Jagd-Taktiken, die auf etwas beruhten, was er als »die Tricks der Wachteln« bezeichnete. Ich war von seinen Erklärungen so völlig in Anspruch genommen, daß ein ganzer Tag verging und ich nicht einmal merkte, wie die Zeit verstrich. Selbst das Mittagessen hatte ich vergessen. Don Juan machte scherzhafte Bemerkungen darüber, wie ungewöhnlich es für mich sei, eine Mahlzeit auszulassen.
    Gegen Ende des Tages hatte er fünf Wachteln in einer sehr kunstvollen Falle gefangen, die zu bauen und aufzustellen er mich gelehrt hatte. »Zwei sind genug für uns«, sagte er und ließ die drei übrigen frei. Dann zeigte er mir, wie man Wachteln röstet. Ich hatte ein paar Sträucher schneiden und eine Barbecue-Grube machen wollen, wie mein Großvater sie immer machte -mit grünen Zweigen und Blättern eingefaßt und mit Sand bedeckt -, aber Don Juan sagte, das sei nicht nötig, die Sträucher zu verletzten, nachdem wir schon die Wachteln verletzt hätten.
    Als wir unser Mahl beendet hatten, wanderten wir gemächlich in eine felsige Gegend. Wir setzten uns an einen Berghang aus Sandstein und ich sagte im Scherz, daß ich, wenn er mir die Entscheidung überlassen hätte, alle fünf Wachteln zubereitet und daß mein Barbecue viel besser geschmeckt hätte als seine gebratenen Wachteln.
    »Zweifellos«, sagte er. »Aber wenn du das alles getan hättest, dann hätten wir  vielleicht diesen Platz niemals heil und ganz verlassen.«
    »Was meinst du damit?« fragte ich. »Was hätte uns daran gehindert?«
    »Die Büsche, die Wachteln und alles andere dort wären über uns hergefallen.«
    »Ich weiß nie, wann du es ernst meinst«, sagte ich. Er machte eine ungeduldige  Gebärde und schnalzte mit den Lippen.
    »Du hast eine sonderbare Auffassung davon, was es heißt, es ernst zu meinen. Ich lache viel, weil ich gern lache, doch alles, was ich sage, ist todernst, selbst wenn du es nicht verstehst. Warum sollte  die Welt ausschließlich so sein, wie du sie dir vorstellst? Wer gibt dir das Recht, das zu behaupten?«
    »Es gibt keinen Beweis dafür, daß die Welt anders ist«, sagte ich. Es wurde dunkel. Ich überlegte, ob es nicht an der Zeit sei, zu seinem Haus zurückzukehren, aber er schien es nicht eilig zu haben, und mir gefiel es hier ganz gut.
    Der Wind war kühl. Plötzlich stand Don Juan auf und sagte, wir

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