Reise nach Ixtlan.
leid und änderte mich. Laß es mich so sagen, daß ich eines Tages, als ich ein Jäger wurde, das Geheimnis lernte, erreichbar und unerreichbar zu sein.«
Dies, sagte ich ihm, könne ich nicht begreifen. Ich konnte wirklich nicht verstehen, was er unter erreichbar sein" verstand. Er hatte die spanischen Wendungen „ponerse al alcance " und „ ponerse en el medio del camino " verwendet - sich in Reichweite begeben, und sich mitten auf die Straße stellen.
»Du mußt dich entziehen«, erklärte er. »Du mußt dich von der Mitte der Straße entfernen. Dein ganzes Sein ist dort, also ist es zwecklos, dich zu verstecken; du würdest dir nur einbilden, du seist verborgen. Auf der Mitte der Straße zu sein bedeutet, daß jeder Vorbeigehende dein Kommen und Gehen beobachtet.« Dieses Bild war interessant, zugleich aber auch dunkel. »Du sprichst in Rätseln«, sagte ich. Er fixierte mich eine lange Minute mit den Augen und begann ein Lied zu summen. Ich streckte meinen Rücken und saß aufmerksam da. Ich wußte, wenn Don Juan ein mexikanisches Lied summte, dann versetzte er mir im nächsten Moment einen Schlag. »He«, sagte er lächelnd und sah mich an. »Was geschah mit deiner blonden Freundin? Das Mädchen, das du wirklich gern hattest.« Ich muß ihn angesehen haben wie ein einfältiger Trottel. Er lachte vergnügt. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. »Du hast mir von ihr erzählt«, beteuerte er. Ich konnte mich nicht erinnern, ihm je von irgend jemand erzählt zu haben, geschweige denn von einem blonden Mädchen. »Ich habe dir gegenüber nichts dergleichen erwähnt«, sagte ich. »Natürlich hast du das«, sagte er, meinen Einwand beiseite schiebend. Ich wollte protestieren, aber er hielt mich zurück und meinte, es sei doch gleichgültig, woher er von ihr wisse, und es gehe einzig darum, daß ich sie gern gehabt habe. Ich spürte, wie sich in mir eine Welle der Abneigung gegen ihn aufstaute. »Keine Ausflüchte«, sagte Don Juan trocken. »Dies ist ein Augenblick, wo du dein Gefühl der eigenen Wichtigkeit beiseite lassen solltest.«
»Einst hattest du eine Frau, eine dir sehr liebe Frau, und dann hast du sie eines Tages verloren.«
Ich fragte mich, ob ich je mit Don Juan über sie gesprochen hatte. Ich kam zu dem Schluß, daß dazu nie Gelegenheit gewesen war. Aber vielleicht hatte ich es doch getan. Immer, wenn er mit mir im Auto fuhr, unterhielten wir uns ununterbrochen über alles mögliche. Ich erinnerte mich nicht an alles, worüber wir gesprochen hatten, denn ich konnte beim Fahren keine Notizen machen. Irgendwie fühlte ich mich durch diese Überlegungen beruhigt. Ich sagte ihm, er habe recht. Es hatte in meinem Leben ein für mich sehr wichtiges blondes Mädchen gegeben. »Warum ist sie nicht bei dir geblieben?« fragte er. »Sie ging fort.«
»Warum?«
»Dafür gab es viele Gründe.«
»Es waren gar nicht so viele Gründe. Es war nur einer. Du hattest dich zu sehr erreichbar gemacht.«
Ich wollte ernstlich wissen, was er meinte. Wieder hatte er mich getroffen. Er schien sich der Wirkung seines Treffers bewußt und schürzte die Lippen, um ein boshaftes Lächeln zu verbergen. »Jeder wußte von euch beiden«, sagte er im Ton unerschütterlicher Überzeugung. »War das falsch?«
»Es war verhängnisvoll falsch. Sie war ein feiner Mensch.« Ich äußerte meine ehrliche Überzeugung, daß es mir verhaßt war, wie er im Trüben fischte, ganz besonders aber die Tatsache, daß er immer mit der Sicherheit eines Menschen sprach, der dabeigewesen ist und alles selbst mit angesehen hat. »Aber es stimmt doch«, sagte er mit entwaffnender Offenheit. Ich habe es alles gesehen. Sie war ein feiner Mensch.« Ich wußte, daß es zwecklos war zu streiten, aber ich war wütend auf ihn, weil er diese wunde Stelle in meinem Leben getroffen hatte, und sagte, daß jenes Mädchen keineswegs ein so feiner Mensch gewesen sei, daß sie vielmehr meiner Meinung nach eher schwach gewesen sei.
»Das bist du auch«, sagte er ruhig. »Aber darauf kommt es nicht an. Was zählt, das ist allein die Tatsache, daß du sie überall gesucht hast; das macht sie zu einem besonderen Menschen in deiner Welt, und für einen besonderen Menschen sollte man nur gute Worte finden.«
Ich war verwirrt; eine große Traurigkeit befiel mich. »Was tust du mit mir, Don Juan?« fragte ich. »Immer gelingt es dir, mich traurig zu machen. Warum nur?«
»Du überläßt dich jetzt deinen Gefühlen«, sagte er vorwurfsvoll.
»Um was geht es denn
Weitere Kostenlose Bücher