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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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stehenbleibst.«
    Ich war ganz davon in Anspruch genommen, sie zu beobachten; für einen Jäger  wäre es ein guter Tag gewesen, denn ich entdeckte sehr viele dieser Tiere. Und schließlich konnte ich fast jedesmal ihre Bewegungen voraussagen.
    Dann zeigte mir Don Juan, wie man Fallen baut, um sie zu fangen. Er erklärte, daß  ein Jäger sich Zeit für die Beobachtung ihrer Freßplätze und Schlupfwinkel nehmen muß, um entscheiden zu können, wo er seine Fallen aufstellen soll; er muß sie dann in der Nacht aufstellen, und am nächsten Tag braucht er die Nager nur noch aufzuscheuchen, damit sie in seine Fangvorrichtung hineinrennen.
    Wir suchten einige Stöcke zusammen und begannen, die Falle zu bauen. Ich hatte  meine beinah fertig und war gespannt, ob sie funktionieren würde, als Don Juan plötzlich innehielt, auf sein linkes Handgelenk schaute, als sehe er auf die Uhr, obwohl er nie eine Besessen hat, und sagte, daß es nach seinem Chronometer Mittagszeit sei. Ich hielt gerade eine lange Gerte in der Hand, die ich zu einem Reifen biegen wollte. Automatisch legte ich sie zu den übrigen Jagdutensilien auf den Boden.
    Don Juan sah mich neugierig an. Dann ahmte er den heulenden Ton einer Fabriksirene nach, die zur Mittagspause bläst. Ich lachte. Sein Sirenenton war perfekt. Ich ging auf ihn zu und stellte fest, daß er mich anstarrte. Bedächtig schüttelte er den Kopf. »Ich will verflucht sein«, sagte er. »Was ist los?« fragte ich. Wieder ahmte er den langen, klagenden Ton einer Fabriksirene nach. »Die Pause ist um«, sagte er. »Geh wieder an die Arbeit.« Einen Augenblick war ich verblüfft, aber dann meinte ich, er machte Witze, vielleicht, weil wir tatsächlich nichts hatten, um eine Mahlzeit zuzubereiten. Ich war ganz von den Nagetieren in Anspruch genommen gewesen und hatte vergessen, daß wir keinen Proviant hatten. Ich nahm die Gerte wieder auf und versuchte, sie zusammenzubinden. Im nächsten Augenblick blies Don Juan seine „Sirene" erneut. »Feierabend«, sagte er. Er blickte auf seine Phantasie-Uhr, sah mich an und zwinkerte mir zu. »Es ist fünf Uhr«, sagte er mit der Miene eines Menschen, der ein Geheimnis verrät. Ich glaubte, er sei der Jagd plötzlich überdrüssig und wolle die ganze Sache abblasen. Ich warf einfach alles hin und fing an, mich für den Aufbruch vorzubereiten. Ich sah ihn nicht an. Ich nahm an, daß er ebenfalls seine Sachen zusammensuchte. Als ich fertig war, blickte ich auf und sah ihn ein paar Meter entfernt mit gekreuzten Beinen sitzen.
    »Ich bin fertig«, sagte ich. »Wir können jederzeit gehen.« Er stand auf und kletterte auf einen Felsen. Dort stand er, etwa zwei Meter über dem Boden, und sah mich an. Er legte die Hände seitlich an den Mund und brachte einen langen, durchdringenden Ton hervor. Es klang wie eine überdimensionale Fabriksirene. Er drehte sich einmal im Kreis herum, wobei er diesen klagenden Ton ausstieß. »Was tust du da, Don Juan?« fragte ich.
    Er sagte, er gebe der ganzen Welt das Zeichen zum Heimgehen. Ich war völlig durcheinander. Ich konnte mir nicht klar werden, ob er Spaß machte, oder ob er schlicht den Verstand verloren hatte. Ich beobachtete ihn aufmerksam und versuchte das, was er da tat, mit irgend etwas in Verbindung zu bringen, was er vorhin gesagt hatte. Wir hatten den ganzen Vormittag kaum miteinander gesprochen, und ich konnte mich an nichts Wichtiges erinnern. Don Juan stand immer noch auf dem Felsen. Er sah mich an, lächelte und blinzelte mir wieder zu. Plötzlich erschrak ich. Don Juan legte die Hände beidseitig an den Mund und ließ wieder einen langen, sirenenartigen Ton erklingen.
    Er sagte, es sei acht Uhr morgens, und ich solle mein Arbeitszeug bereithalten, denn  es liege ein langer Tag vor uns. Nun war ich vollends verwirrt. Binnen Sekunden mündete meine Furcht in den unwiderstehlichen Wunsch, vom Schauplatz zu fliehen. Ich glaubte, Don Juan sei verrückt geworden. Ich wollte gerade davonlaufen, als er vom Felsen herabglitt und lächelnd auf mich zu kam. »Du hältst mich für verrückt, nicht wahr?« sagte er.
    Ich sagte, er habe mir mit seinem unberechenbaren Verhalten sinnlose Angst eingejagt.
    Er entgegnete, wir seien jetzt quitt. Ich verstand nicht, was er damit meinte. Ich überließ mich ganz dem Gedanken, daß seine Handlungen durch und durch verrückt erschienen. Er erklärte, er habe absichtlich versucht, mir durch die Wucht seines unvorhersehbaren Verhaltens einen gehörigen Schrecken

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