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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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bestimmbare Kontinuität aufwiesen.
    Don Juan schien sich zu amüsieren über meine Anstrengungen, mich verständlich zu machen. Er lachte, schüttelte den Kopf, raufte sich die Haare und schließlich, als ich von einer bestimmten Kontinuität sprach, warf er seinen Hut zu Boden und trampelte darauf herum.
    Ich mußte über seine Clownerie lachen.
    »Du hast keine Zeit, mein Freund«, sagte er. »Das ist das Unglück von uns Menschen. Keiner von uns hat genügend Zeit, und deine Kontinuität ist in dieser ehrfurchtgebietenden, geheimnisvollen Welt bedeutungslos.
    Deine Kontinuität macht dich nur verzagt«, sagte er. »Deine Handlungen können unmöglich den Instinkt, die Kraft und die zwingende Macht der Handlungen eines Mannes haben, der weiß, daß er seine letzte Schlacht auf Erden ficht. Mit anderen Worten, deine Kontinuität macht dich nicht glücklich und gibt dir keine Kraft.« Ich gab zu, daß ich mich vor dem Gedanken an den Tod fürchtete, und warf ihm vor, daß er mir sehr bange machte, indem er dauernd vom Tod sprach und sich damit befaßte. »Aber wir müssen alle sterben«, sagte er. Er deutete auf die fernen Berge. »Dort draußen wartet etwas auf mich, das ist gewiß; und ich werde ihm begegnen, auch das ist gewiß. Aber vielleicht bist du anders, und der Tod erwartet dich gar nicht.« Er lachte über meine Geste der Hoffnungslosigkeit. »Ich möchte nicht daran denken, Don Juan.«
»Warum nicht?«
    »Es ist sinnlos. Wenn der Tod dort draußen auf mich wartet, warum sollte ich mich darüber beunruhigen?«
»Ich sagte nicht, daß du dich darüber beunruhigen sollst. Du sollst ihn benutzen. Richte deine Aufmerksamkeit auf die Verbindung zwischen dir und deinem Tod, ohne Reue, Trauer oder Sorge. Richte deine Aufmerksamkeit auf die Tatsache, daß du keine Zeit hast, und richte deine Handlungen darauf ein. Laß jede deiner Handlungen deine letzte Schlacht auf Erden sein. Nur unter diesen Bedingungen werden deine Handlungen die Kraft haben, die ihnen zusteht. Sonst werden sie, solange du lebst, die Handlungen eines verzagten Menschen sein.«
»Ist es so furchtbar, ein verzagter Mensch zu sein?«
»Nein, das ist es nicht, wenn du unsterblich bist, aber wenn du sterben mußt, dann hast du keine Zeit, verzagt zu sein, einfach weil die Verzagtheit bewirkt, daß du dich an etwas festklammerst, das nur in deinen Gedanken existiert. Sie tröstet dich, während alles friedlich ist, aber dann wird die ehrfurchtgebietende, geheimnisvolle Welt ihren Schlund für dich öffnen, wie sie ihn für jeden von uns öffnet, und du wirst erkennen, daß deine sicheren Wege ganz und gar nicht sicher waren. Verzagtheit hindert uns daran, unser Los als Mensch zu prüfen und zu nutzen.«
»Es ist unnatürlich, ständig mit dem Gedanken an unseren Tod zu leben, Don Juan.«
    »Unser Tod wartet, und gerade die Handlung, die wir jetzt tun, mag unsere letzte Schlacht auf Erden sein«, antwortete er feierlich.
    »Ich nenne es eine Schlacht, weil es ein Kampf ist. Die meisten Menschen schreiten ohne inneren Kampf und ohne Nachdenken von Handlung zu Handlung. Ein Jäger dagegen beurteilt jede seiner Handlungen; und da er seinen Tod genau kennt, handelt er wohlüberlegt, als wäre jede Handlung seine letzte Schlacht. Nur ein Narr würde nicht erkennen, welchen Vorteil ein Jäger gegenüber seinen Mitmenschen hat. Ein Jäger zollt seiner letzten Schlacht die Achtung, die er ihr schuldet. Es ist nur natürlich, daß er mit seiner letzten Handlung auf Erden sein Bestes geben will. Auf diese Weise ist sie vergnüglich. Sie nimmt seiner Angst die Schärfe.«
»Du hast recht«, gab ich zu. »Es ist nur schwer zu akzeptieren.«
»Du wirst Jahre brauchen, um dich davon zu überzeugen, und dann wirst du Jahre brauchen, um dementsprechend zu handeln. Ich hoffe nur, daß dir die Zeit dafür bleibt.« Don Juan sah mich mit ernster Miene an.
    »Ich sagte dir schon, dies ist eine sonderbare Welt«, fuhr er fort. »Die Kräfte, die die Menschen leiten, sind unvorhersehbar und ehrfurchtgebietend, und dennoch sind sie großartig.« Er hielt inne und sah mich wieder an. Anscheinend wollte er mir etwas eröffnen, aber dann beherrschte er sich und lächelte. »Gibt es etwas, das uns leitet?« fragte ich. »Gewiß, es gibt Kräfte, die uns leiten.«
»Kannst du sie beschreiben?«
    »Nicht eigentlich, es sei denn, man bezeichnete sie als Kräfte, Geister, Lüfte, Winde und dergleichen.«
    Ich wollte weiter in ihn dringen, aber bevor ich noch etwas sagen konnte,

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