Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
setzte mich aufrecht, gerade rechtzeitig, um ein leuchtendes Geschöpf zu sehen, das mich anschaute. Das Reh sah mich an, und ich sagte ihm, daß ich ihm kein Leid tun würde. Und das Reh sprach zu mir.« Don Juan hielt inne und sah mich an. Ich mußte lächeln. Die Vorstellung eines sprechenden Rehs war recht unglaubhaft, um es vorsichtig auszudrücken. »Es sprach zu mir«, sagte Don Juan grinsend. »Das Reh sprach?«
»Ja, das tat es.«
    Don Juan stand auf und packte sein Bündel mit den Jagdutensilien zusammen.
    »Sprach es wirklich?« fragte ich perplex. Don Juan brüllte vor Lachen. »Was sagte  es?« fragte ich halb im Scherz. Ich war überzeugt, daß er mich auf den Arm nahm. Don Juan schwieg einen Augenblick, als versuchte er, sich zu erinnern, dann leuchteten seine Augen auf, und er verriet mir, was das Reh gesagt hatte.
    »Das magische Reh sagte „Guten Tag, mein Freund"«, fuhr Don Juan fort. »Und ich  antwortete: „Guten Tag". Dann fragte es mich: „Warum weinst du?" Und ich sagte: „Weil ich traurig bin." Darauf kam das magische Wesen ganz nah an mein Ohr und sagte so deutlich, wie ich jetzt spreche: „Sei nicht traurig".« Don Juan sah mich an. Der Schalk blitzte in seinen Augen. Er lachte schallend.
    Ich meinte, sein Gespräch mit dem Reh sei doch etwas töricht gewesen.
    »Was hattest du erwartet?« fragte er, immer noch lachend. »Ich bin ein Indianer.«
    Sein Humor war so umwerfend, daß mir nichts anderes übrig blieb, als mit ihm zu  lachen.
    »Du glaubst nicht, daß ein magisches Reh spricht, nicht wahr?«
»Es tut mir leid, aber ich kann einfach nicht glauben, daß es so etwas gibt«, sagte ich. »Ich mach dir deswegen keinen Vorwurf«, tröstete er mich. »Das ist eines der schwierigsten Dinge.«

9. Die letzte Schlacht auf Erden
Montag, 24. Juli 1961
    Am Nachmittag, nachdem wir stundenlang in der Wüste umhergestreift waren, wählte Don Juan einen Rastplatz an einer schattigen Stelle. Sobald wir saßen, begann er zu sprechen. Er sagtel, ich hätte viel über die Jagd gelernt, aber ich hätte mich nicht so sehr geändert, wie er es wünschte.
    »Es genügt nicht, zu wissen, wie man Fallen baut und aufstellt«, sagte er. »Ein Jäger muß als Jäger leben, um das Beste aus seinem Leben herauszuholen. Unglücklicherweise sind Veränderungen schwierig und sehr, sehr langwierig; manchmal braucht ein Mensch Jahre, um sich von der Notwendigkeit einer Veränderung zu überzeugen. Ich brauchte Jahre, aber vielleicht hatte ich keine Begabung für die Jagd. Ich glaube, das schwerste für mich war, mich wirklich ändern zu wollen.«
    Ich versicherte ihm, mir sei klar, was er meinte. Seit er angefangen hatte, mich die Jagd zu lehren, hatte ich tatsächlich begonnen, mein Handeln zu überprüfen. Die für mich vielleicht interessanteste Entdeckung war, daß ich Don Juans Art wirklich mochte. Ich mochte Don Juan als Mensch. Sein Verhalten war irgendwie fest; die Art, wie er sich benahm, ließ keine Zweifel an seiner Überlegenheit, und doch hatte er diesen Vorteil nie benutzt, um etwas von mir zu fordern. Sein Interesse daran, daß ich meine Lebensweise änderte, glich einem unpersönlichen Vorschlag, oder vielleicht einer autoritativen Beurteilung meiner Fehler. Er hatte mir meine Fehler deutlich vor Augen geführt, doch ich konnte nicht erkennen, wie seine Methoden bei mir etwas bessern sollten. Ich war ehrlich überzeugt, daß seine Methoden angesichts dessen, was ich in meinem Leben erreichen wollte, nur Elend und Mühsal bringen und mich folglich in eine Sackgasse führen würden. Doch ich hatte gelernt, seine Überlegenheit, die sich immer als Schönheit und Präzision zum Ausdruck brachte, zu respektieren.
    »Ich habe beschlossen, meine Taktik zu ändern«, sagte er. Ich bat ihn, das zu erläutern. Er hatte sich vage ausgedrückt, und ich war nicht sicher, ob er damit mich meinte.
    »Ein guter Jäger ändert seine Methoden, sooft es nötig ist«, antwortete er. »Das weißt du selbst.«
»Was willst du damit sagen, Don Juan?«
    »Ein Jäger muß nicht nur um die Gewohnheiten seiner Beute wissen, er muß auch wissen, daß es auf dieser Erde Kräfte gibt, welche die Menschen und die Tiere und alles Lebende leiten.«
    Er schwieg. Ich wartete, aber anscheinend hatte er gesagt, was er sagen wollte. »Von welchen Kräften sprichst du?« fragte ich nach langer Pause. »Kräfte, die unser Leben und unseren Tod leiten.« Don Juan schwieg, und es schien ihm sehr schwer zu fallen, zu entscheiden,

Weitere Kostenlose Bücher