Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
Juan her zum Gipfel hinauf. Als er den flachen Gipfel der Klippe erreichte, saß ich bereits oben und rang um Atem.
    Er wälzte sich am Boden. Einen Moment glaubte ich, die Anstrengung sei zu groß für ihn gewesen, doch er lachte sich kaputt darüber, wie schnell ich geklettert war. Einige Stunden saßen wir in völligem Schweigen, dann brachen wir auf und kehrten zu meinem Auto zurück.
Sonntag, den 3. September 1961
    Als ich erwachte, war Don Juan nicht im Haus. Ich überarbeitete meine Notizen und hatte genügend Zeit, etwas Feuerholz aus dem nahen Chaparral zu holen, bevor er zurückkehrte. Ich aß gerade, als er ins Haus trat. Er lachte über meine - wie er sagte - Routine, um Schlag zwölf zu essen, aber dann nahm auch er von meinen Sandwiches.
    Ich sagte ihm, das Erlebnis mit dem Berglöwen sei für mich rätselhaft. Rückblickend erschien mir alles unwirklich. Es war, als sei alles für mich inszeniert worden. - Die Folge der Ereignisse war so rasch gewesen, daß ich gar keine Zeit gehabt hatte, mich zu fürchten. Ich hatte wohl die Zeit gefunden, um zu handeln, nicht aber um über die Umstände nachzudenken, in denen ich mich befand. Beim Aufschreiben meiner Notizen waren mir dann Zweifel gekommen, ob ich den Berglöwen wirklich gesehen hatte. Meine Erinnerung an den trockenen Zweig war noch frisch, »Es war ein Berglöwe«, sagte Don Juan mit Nachdruck. »War es ein wirkliches Tier aus Fleisch und Blut?«
»Natürlich.«
    Ich sagte, der Verdacht sei mir gekommen, weil alles so reibungslos abgelaufen war. Fast, als habe der Löwe dort draußen gewartet, als sei er darauf dressiert, genau das zu tun, was Don Juan plante. Meine Salve skeptischer Bemerkungen brachte ihn nicht aus der Ruhe. Er lachte mich aus.
    »Du bist ein Spaßvogel«, sagte er. »Du hast die Katze gesehen und gehört. Sie war genau unter dem Baum, auf dem du saßest. Nur wegen dem Duft der Flußweiden hat sie dich nicht gerochen und angefallen. Du hattest doch einen Buschen davon auf den Knien liegen. Alles was anders riecht, auch Katzen, töten sie.« Ich sagte, es sei nicht so, daß ich ihm mißtraute, nur sei alles, was in jener Nacht geschehen war, meinem Alltagsleben sehr fremd. - Beim Aufschreiben meiner Notizen hatte ich sogar einen Moment angenommen, Don Juan habe die Rolle des Löwen gespielt. Diese Vorstellung hatte ich jedoch wieder aufgeben müssen, weil ich tatsächlich den Schatten eines vierbeinigen Tieres gesehen hatte, das den Käfig anfiel und dann über die Mesa davonsprang. »Warum regst du dich so auf?« fragte er. »Es war einfach eine Großkatze. Dort in den Bergen muß es Tausende von Katzen geben. Na und? Wie üblich hast du deine Aufmerksamkeit auf das falsche Objekt gerichtet. Es ist doch gleichgültig, ob es ein Löwe oder meine Hose war. Was einzig zählte, waren deine Gefühle in diesem Augenblick.«
    Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich eine große Wildkatze in Freiheit gesehen oder gehört. Der Gedanke, daß sie nur ein paar Meter von mir entfernt gewesen war, war kaum faßbar. Don Juan hörte geduldig zu, während ich das ganze Erlebnis noch einmal durchsprach.
    »Warum diese Furcht vor der großen Katze?« fragte er mit neugieriger Miene. »Du bist den meisten Tieren, die hier leben, nahe gewesen, und hattest nie eine solche Furcht vor ihnen. Magst du Katzen?«
»Nein.«
    »Nun, dann vergiß es. Es ging bei dieser Lektion ja auch nicht darum, Löwen zu jagen.«
»Worum ging es denn?«
    »Die kleine Krähe zeigte mir diesen besonderen Ort, und an diesem Ort sah ich die Möglichkeit, dir verständlich zu machen, wie man handelt, während man in der Stimmung eines Kriegers ist. Alles, was du gestern abend getan hast, geschah in der richtigen Stimmung. Als du vom Baum heruntersprangst, um den Käfig zu holen und zu mir zu laufen, da warst du beherrscht und gleichzeitig selbstvergessen. Du warst nicht vor Angst gelähmt. Und dann, kurz vor dem Gipfel der Klippe, als der Löwe brüllte, da hast du dich sehr gut verhalten. Ich bin sicher, du würdest nicht glauben, was du getan hast, wenn du die Klippe bei Tageslicht siehst. Du hattest eine gewisse Selbstkontrolle. Du hast dich nicht gehenlassen und dir nicht die Hosen naß gemacht, und trotzdem hast du dich selbst vergessen und bist in völliger Dunkelheit die Wand hinaufgeklettert. Du hättest den Pfad verfehlen und zu Tode stürzen können. Um im Dunklen diese Wand hinaufzuklettern, war es nötig, daß du dich zusammennahmst und dich gleichzeitig

Weitere Kostenlose Bücher