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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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einer Fahrt auf. Wir fuhren nach Süden und dann Richtung Osten in die Berge. Don Juan hatte Kalebassen mit Nahrung und Wasser mitgenommen. Wir aßen im Auto, bevor wir zu Fuß weitergingen. »Bleib nah bei mir«, sagte er. »Dies ist ein dir unbekanntes Gebiet, und du sollst keine Risiken eingehen. Wir gehen auf die Suche nach Kraft, und alles was du tust, ist wichtig. Beobachte den Wind, besonders gegen Ende des Tages. Beobachte, wann er die Richtung wechselt, und wähle deinen Platz immer so, daß ich dich gegen ihn abschirme.«
    »Was werden wir in den Bergen tun, Don Juan?«
»Du wirst nach Kraft jagen.«
»Ich meine, was werden wir im einzelnen tun?«
»Wenn man nach Kraft jagt, gibt es keinen Plan. Kraft jagen und Wild jagen ist dasselbe. Ein Jäger jagt, was sich ihm bietet. Daher mußt du immer bereit sein.
    Du weißt über den Wind Bescheid, und jetzt kannst du selbst die Kraft mit im Wind jagen. Aber es gibt noch andere Dinge, über die du nichts weißt, und die, wie der Wind, zu bestimmten Zeiten und im bestimmten Orten das Zentrum der Kraft sind. Kraft ist eine ganz besondere Sache«, sagte er. »Es ist unmöglich, sich festzulegen und zu sagen, was sie wirklich ist. Sie ist das Gefühl, das man bei bestimmten Dingen hat. Kraft ist etwas Persönliches. Sie gehört einem allein. Mein Wohltäter zum Beispiel konnte einen Menschen todkrank machen, wenn er ihn nur ansah. Frauen schmolzen dahin, wenn er ihnen einen Blick zuwarf. Aber er machte die Menschen nicht immer krank, sondern nur dann, wenn seine persönliche Kraft im Spiel war.«
»Wie - entschied er, wen er krank machte?« Das weiß ich nicht. Er selbst wußte es nicht. So ist die Kraft. Sie befiehlt dir, und trotzdem gehorcht sie dir. Wer nach Kraft jagt, der fängt sie ein und speichert sie als seinen persönlichen Besitz. So nimmt die persönliche Kraft zu, und es ist möglich, daß ein Krieger so viel persönliche Kraft hat, daß er ein Wissender wird.«
    »Wie speichert man die Kraft, Don Juan?« Auch das ist ein Gefühl. Es hängt davon ab, was für ein Mensch der Krieger ist. Mein Wohltäter war ein Mensch von gewalttätiger Natur. Durch dieses Gefühl speicherte er die Kraft. Alles, was er tut, war stark und direkt. Er hinterließ mir eine Erinnerung an etwas, das die Dinge durchschlug. Und alles, was ihm zustieß, ereignete sich ebenso.« Ich sagte, ich könne nicht verstehen, wie die Kraft durch ein Gefühl gespeichert wird. »Das zu erklären ist unmöglich«, sagte er nach langer Pause. »Du mußt es selbst tun.«
    Er hob die Kalebassen mit Proviant auf und lud sie sich auf den Rücken. Er reichte mir eine Schnur mit acht getrockneten Fleischstücken und forderte mich auf, sie mir um den Hals zu hängen. »Das ist Kraft-Speise«, sagte er. »Wodurch wird sie zur Kraft-Speise, Don Juan?«
»Das ist das Fleisch eines Tieres, das Kraft besaß. Eines Rehs, eines ungewöhnlichen Rehs. Meine persönliche Kraft hat es mir zugeführt. Dieses Fleisch wird uns Wochen, wenn nötig Monate ernähren. Kaue es in kleinen Stücken, und kaue es gründlich. Laß die Kraft langsam in deinen Körper eindringen.« Wir machten uns auf den Weg. Es war kurz vor elf Uhr morgens. Noch einmal erinnerte mich Don Juan daran, wie ich mich verhalten sollte. »Beobachte den Wind«, sagte er. »Laß dich nicht durch ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Und laß dich nicht durch ihn ermüden. Kau deine Kraft-Speise und verbirg dich vor dem Wind hinter mir. Der Wind wird mir nichts anhaben. Wir kennen einander sehr gut.«
    Er führte mich auf einen Weg, der direkt in die hohen Berge führte. Es war ein wolkiger Tag, und es sah nach Regen aus. Ich sah die niedrigen Regenwolken und Nebelschwaden auf uns hinabtreiben. Bis etwa drei Uhr nachmittags wanderten wir in völligem Schweigen. Das getrocknete Fleisch zu kauen, war wirklich eine Stärkung. Und aufmerksam auf plötzliche Richtungsänderungen des Windes zu achten, war eine mysteriöse Angelegenheit - es ging so weit, daß ich diese körperlich fühlte, bevor sie tatsächlich eintraten. Wie mir schien, spürte ich die Wellen des Windes als Druck auf die obere Hälfte des Brustkorbs, auf die Bronchien. Kurz bevor ich einen Windstoß spürte, nahm ich ein Zucken an Brust und Kehle wahr. Don Juan blieb kurz stehen und schaute sich um. Offenbar orientierte er sich, und dann wandte er sich nach rechts. Ich bemerkte, daß er ebenfalls Trockenfleisch kaute. Ich fühlte mich frisch und war gar nicht müde. Die Aufgabe, auf den

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