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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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geschah, hatte ich nur beschränkte Kraft, und ich verstand die Pläne meines Todes nicht, daher glaubte ich, ich würde sterben.«
»War dein Tod wie eine Person?«
    »Du bist ein Spaßvogel. Du glaubst etwas verstehen zu können, indem du Fragen stellst. Ich glaube nicht, daß dir dies gelingt, aber wer bin ich, daß ich dies sagen könnte?
    Der Tod ist keine Person. Eher ist er eine übersinnliche Erscheinung. Man könnte aber auch sagen, daß er nichts und trotzdem alles ist. Was immer man sagen mag, man wird damit recht haben. Der Tod ist, was immer man will.
    Ich bin gern unter Menschen, daher ist der Tod für mich eine Person. Ich habe auch einen Sinn fürs Mysteriöse, daher hat der Tod für mich leere Augenhöhlen. Ich kann durch sie hindurchsehen. Sie sind wie zwei Fenster, und doch bewegen sie sich wie Augen. Ich kann also sagen, daß der Tod mit seinen hohlen Augen einen Krieger ansieht, wenn der zum letzten Mal auf Erden tanzt.«
»Aber ist dies nur bei dir so, Don Juan, oder ist es bei anderen Kriegern ebenso?«
    »Es ist bei jedem Krieger, der über einen Tanz der Macht verfügt, dasselbe, und doch ist es das auch wieder nicht. Der Tod beobachtet den letzten Tanz eines Kriegers, aber die Art, wie der Krieger den Tod sieht, ist eine persönliche Angelegenheit. Er könnte alles mögliche sein - ein Vogel, ein Licht, eine Person, ein Busch, ein Stein, eine Nebelschwade oder eine unbekannte Erscheinung.« Don Juans Bilder des Todes beunruhigten mich. Ich fand nicht die rechten Worte, um meine Fragen zu formulieren, und stammelte etwas. Er sah mich lächelnd an und ermunterte mich zum Sprechen.
    Ich fragte ihn, ob die Art, wie ein Krieger den Tod sieht, davon abhängig sei, wie er erzogen wurde.
    Ich dachte daran, daß die Vorstellungen vom Tod von kulturellen Einflüssen abhängig sind.
    »Es spielt keine Rolle, wie man erzogen wurde«, sagte er. Was darüber entscheidet, wie man etwas tut, ist die persönliche Kraft. Ein Mensch ist nur die Summe seiner persönlichen Kraft, und diese Summe entscheidet darüber, wie er lebt und stirbt.«
»Was ist persönliche Kraft?«
»Persönliche Kraft ist ein Gefühl«, sagte er. »So etwas wie Glücklichsein. Oder man könnte es eine Stimmung nennen. Persönliche Kraft ist etwas, das man unabhängig von seiner Herkunft erwirbt. Wie ich dir schon sagte, ein Krieger ist ein Mann, der nach Kraft jagt, und ich lehre dich, sie zu jagen und zu speichern. Wie uns allen fällt es dir schwer, dich überzeugen zu lassen. Du mußt glauben, daß man sich der persönlichen Kraft bedienen kann und daß es möglich ist, sie zu speichern, aber bislang bist du noch nicht überzeugt.«
    Ich sagte ihm, er habe sein Ziel erreicht, und ich sei so überzeugt wie nur je. Er lachte.
    »Das ist nicht die Art Überzeugung, von der ich spreche«, sagte er. Er schlug mich zwei- oder dreimal leicht auf die Schulter und fügte kichernd hinzu: »Du brauchst dich nicht über mich lustig zu machen, weißt du?«
    Ich fühlte mich verpflichtet, ihm zu versichern, daß es mir ganz ernst sei. »Daran zweifle ich nicht«, sagte er. »Aber überzeugt sein bedeutet, daß du von dir aus handeln kannst. Das wird dich große Mühe kosten. Du wirst noch viel mehr tun müssen. Du hast eben erst damit begonnen.«
    Er schwieg einen Augenblick. Sein Gesicht bekam einen milden Ausdruck.
    »Es ist komisch, wie du mich manchmal an mich selbst erinnerst«, fuhr er fort. »Auch  ich wollte nicht den Weg eines Kriegers beschreiten. Ich gaubte, all die Mühe sei umsonst - und was bedeutete es schon, ein Krieger zu sein, da wir doch alle sterben müssen? Ich irrte mich. Aber das mußte ich selbst herausfinden. Wenn du einst erkennst, daß du dich irrst und daß es sehr wohl etwas bedeutet, dann darfst du sagen, daß du überzeugt bist. Und dann kannst du weitergehen, und allein, durch dich selbst, kannst du sogar ein Wissender werden.«
    Ich bat ihn, mir zu erklären, was er unter einem Wissenden verstehe.
    »Ein Wissender ist jemand, der aufrichtig die Mühen des Lernen» auf sich  genommen hat«, sagte er. »Ein Mann, der ohne Hast und ohne Zaudern so weit gegangen ist, wie er nur konnte, um die Geheimnisse der persönlichen Kraft zu entschlüsseln.« Er ging noch kurz weiter auf diese Vorstellung ein und ließ dann das Thema fallen. Er sagte, ich solle mich nur mit der Idee befassen, persönliche Kräfte zu speichern.
    »Das ist mir wirklich unverständlich«, protestierte ich. »Ich sehe wirklich nicht,

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