Reise nach Ixtlan.
nur gekommen, um nach dir zu schauen.« Er sagte, er habe beobachtet, wie ungeschickt ich mich bewegte, er meinte, wenn ich durch die Dunkelheit ginge, sähe ich aus wie eine krummgewachsene alte Dame, die auf Zehenspitzen zwischen Regenpfützen hin und her trippelt. Er fand seinen Vergleich spaßig und lachte laut auf. Dann demonstrierte er mir eine besondere Art, sich im Dunkeln zu bewegen, die er als »Gangart der Kraft« bezeichnete. Er beugte sich vor mir vornüber und hieß mich mit den Händen seinen Rücken und seine Knie abtasten, um eine Vorstellung von seiner Körperhaltung zu bekommen. Don Juans Rumpf war leicht nach vorn gebeugt, aber sein Rückgrat war durchgestreckt. Auch seine Knie waren leicht gebeugt. Er ging langsam vor mir her, und so konnte ich feststellen, daß er bei jedem Schritt das Knie fast bis zur Brust hob. Dann rannte er davon und kehrte wieder zurück. Mir war unbegreiflich, wie er in völliger Dunkelheit so schnell rennen konnte. »Die Gangart der Kraft dient dazu, nachts zu laufen«, flüsterte er mir ins Ohr. Er forderte mich auf, es selbst zu versuchen. Ich sagte, ich sei sicher, ich würde in einen Graben fallen oder über einen Stein stolpern und mir die Beine brechen. Don Juan sagte ganz ruhig, die Gangart der Kraft sei völlig sicher.
Ich erklärte ihm, daß mir sein Verhalten nur dann begreiflich sei, wenn ich voraussetzen könne, daß er diese Berge in- und auswendig kannte und daher allen Unebenheiten und Fußangeln aus dem Weg zu gehen wußte.
Don Juan nahm meinen Kopf zwischen seine Hände und flüsterte eindringlich: »Dies ist die Nacht, und sie ist Kraft.«
Er ließ meinen Kopf los und fügte mit weicher Stimme hinzu, daß die Welt nachts anders sei und daß seine Fähigkeit, in der Dunkelheit zu laufen, nichts damit zu tun hätte, daß er diese Berge kannte. Es komme darauf an, sagte er, die persönliche Kraft frei strömen zu lassen, damit sie sich mit der Kraft der Nacht vermengen könne, und sobald diese Kraft die Führung übernommen hätte, seien Fehler ausgeschlossen. Sehr ernst fügte er hinzu, wenn ich daran zweifelte, solle ich mir kurz klarmachen, was sich hier abspielte. Für einen Mann seines Alters sei es Selbstmord, um diese Zeit durch die Berge zu laufen, wenn nicht die Kraft der Nacht ihn führte.
»Schau her«, sagte er, rannte hurtig in die Dunkelheit und kehrte wieder zurück. Die Art, wie sein Körper sich bewegte, war so ungewöhnlich, daß ich meinen Augen nicht traute. Einen Augenblick trabte er auf der Stelle. Dabei hob er die Beine so an, daß ich an die Lockerungsübungen eines Sprinters vor dem Start erinnert wurde. Dann forderte er mich auf, ihm zu folgen. Ich tat es mit größtem Unbehagen. Ich gab mir alle Mühe, zu sehen, wohin er trat, aber es war mir unmöglich, Entfernungen zu schätzen. Don Juan kam zurück und trabte neben mir her. Er flüsterte, ich müsse mich der Kraft der Nacht überlassen und der geringen persönlichen Kraft vertrauen, die ich besaß, sonst sei ich unfähig, mich frei und gelöst zu bewegen: die Dunkelheit lahme mich nur, weil ich mich bei allem, was ich tat, nur auf meine Augen verließ, ohne zu wissen, daß es auch eine andere Möglichkeit gab, nämlich sich von der Macht leiten zu lassen.
Ich versuchte es mehrmals ohne Erfolg. ch konnte mich einfach nicht lockern. Die Angst, mich an den Beinen zu verletzen, war zu stark. Don Juan befahl mir, auf der Stelle zu traben und zu versuchen, mich so zu fühlen, als bediente ich mich tatsächlich der »Gangart der Kraft«.
Dann sagte er, er werde nun vorauslaufen und ich solle auf seinen Eulenruf warten. Bevor ich etwas erwidern konnte, verschwand er in der Dunkelheit. Ich schloß die Augen und trabte etwa eine Stunde mit gebeugtem Rumpf und gebeugten Knien auf der Stelle. Allmählich ließ meine Spannung nach, bis ich mich ganz behaglich fühlte. Dann hörte ich Don Juans Schrei.
Ich lief fünf oder sechs Meter in der Richtung, aus der Don Juans Schrei erklungen war, wobei ich versuchte, gelöst zu sein, wie Don Juan mir empfohlen hatte. Doch als ich über einen Busch stolperte, kehrte meine Unsicherheit sofort zurück. Don Juan wartete auf mich und korrigierte meine Haltung. Er verlangte, ich solle zunächst meine Finger gegen die Handflächen krümmen und dabei Daumen und Zeigefinger beider Hände ausstrecken. Dann sagte er, seiner Meinung nach überließe ich mich einfach meinem Gefühl der Unzulänglichkeit, denn ich wisse doch genau, daß ich, ganz
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