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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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einanderfolgenden Eulenrufen ein Signal geben, damit ich ihm folgen könne. Ich schlug vor, wir sollten bis zum Morgengrauen hier in den Bergen bleiben und erst dann aufbrechen. Er entgegnete mit erregter Stimme, es sei Selbstmord, hierzubleiben; und selbst, wenn es uns gelänge, lebend davonzukommen, so würde die Nacht unsere persönliche Kraft in einem Maß aufgesaugt haben, daß wir es nicht verhindern könnten, dem ersten Zufall des Tages zum Opfer zu fallen.
    »Wir wollen keine Zeit verlieren«, sagte er mit einem gewissen Drängen in der Stimme. »Laß uns von hier verschwinden.« Er versicherte mir, er wolle versuchen, so langsam wie möglich zu laufen. Abschließend ermahnte er mich, ich solle mich bemühen, keinen Ton, nicht einmal ein Keuchen verlauten zu lassen, ganz gleich was geschehe. Er wies mir die allgemeine Richtung, die wir einschlagen wollten und begann mit merklich verringertem Tempo zu laufen. Ich folgte ihm, konnte aber, einerlei wie langsam er sich bewegte, nicht mit ihm Schritt halten, und bald war er vor mir in der Dunkelheit verschwunden.
    Als ich allein war, wurde mir bewußt, daß ich, ohne es zu wissen, eine ziemlich schnelle Gangart angeschlagen hatte. Das traf mich wie ein Schock. Lange bemühte ich mich, dieses Tempo beizubehalten, und dann hörte ich, ein wenig rechts von mir, Don Juans Ruf. Er pfiff viermal hintereinander.
    Gleich darauf hörte ich abermals seinen Eulenschrei, diesmal aber weit rechts von mir. Um ihm zu folgen, mußte ich eine Wendung von fünfundvierzig Grad machen. Ich begann in die neue Richtung zu laufen und erwartete, daß die weiteren drei Schreie des Signals mir eine bessere Orientierung geben würden. Wieder hörte ich einen Pfiff, nach dem Don Juan sich etwa dort befinden mußte, wo wir aufgebrochen waren. Ich blieb stehen und horchte. Nicht weit entfernt hörte ich ein sehr hartes  Geräusch. Es klang so, als würden zwei Steine gegeneinander geschlagen. Ich lauschte angespannt und nahm eine Reihe leiser Geräusche wahr, so als würden zwei Steine ganz leicht gegeneinander geklopft. Dann ertönte erneut ein Eulenruf, und nun wußte ich, was Don Juan gemeint hatte. Irgendwie war er wirklich melodiös. Er war entschieden länger und noch weicher als der einer echten Eule. Mich überkam ein seltsames Angstgefühl. Mein Magen zog sich zusammen, als zerrte mich irgend etwas von der Mitte meines Körpers hinab. Ich drehte mich um und startete in leichtem Trab in die entgegengesetzte Richtung.
    In der Ferne hörte ich einen schwachen Eulenruf. Und in schneller Folge ertönten drei weitere Rufe. Das war Don Juan. Ich lief in die Richtung, aus der sie kamen. Er mußte etwa knapp einen Kilometer entfernt sein, und wenn er dieses Tempo beibehielt, würde ich bald rettungslos allein in diesen Bergen sein. Ich verstand nicht, warum Don Juan vorauslief, er hätte doch in Kreisen um mich herlaufen können, wenn er schon ein solches Tempo einhalten mußte.
    Dann bemerkte ich, daß zu meiner Linken irgend etwas neben mir herzulaufen schien. Fast konnte ich es am äußersten Rand meines Gesichtsfeldes sehen. Ich wollte schon in Panik ausbrechen, doch da kam mir ein ernüchternder Gedanke. Es war ja absolut unmöglich, in dieser Dunkelheit auch nur irgend etwas zu sehen. Ich war versucht, dorthin zu starren, aber ich fürchtete, aus dem Gleichgewicht zu kommen.
    Ein weiterer Eulenruf schreckte mich aus meinen Überlegungen auf. Er kam von links. Ich folgte ihm nicht, denn er war zweifellos der süßeste und melodiöseste Ruf, den ich je vernommen hatte. Doch er ängstigte mich auch nicht. Er hatte etwas sehr Anziehendes oder vielleicht Lockendes oder sogar Trauriges an sich. Dann kreuzte vor mir eine sehr flinke dunkle Masse von links nach rechts meinen Weg. Sie hatte in ihrer plötzlichen Bewegung etwas so Abruptes, daß ich unwillkürlich nach vorn schaute; ich verlor das Gleichgewicht und stolperte geräuschvoll ins Gebüsch. Ich stürzte auf die Seite, und hörte dann, ein paar Schritte links von mir, wieder diesen melodiösen Ruf. Ich stand auf, doch ehe ich mich wieder auf den Weg machen konnte, ertönte ein weiterer Ruf, verlangender und zwingender als der erste. Es war, als wolle irgend etwas dort draußen, daß ich stehenblieb und lauschte. Der Klang des Eulenrufs war so anhaltend und sanft, daß er meine Ängste beschwichtigte. Ich wäre sogar wirklich stehengeblieben, wenn ich nicht gerade in diesem Augenblick Don Juans vier heisere Rufe gehört hätte. Sie

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