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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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flüsterte mir ins rechte Ohr, ich solle ihm mit ganz geringem Abstand folgen und ihn in allem nachahmen. An unserem jetzigen Standort seien wir sicher, meinte er, da wir uns sozusagen am Rand der Nacht befänden.
    »Dies ist nicht die Nacht«, flüsterte er und trat gegen den Stein, auf dem wir standen. »Die Nacht ist dort draußen.« Er wies in die uns umgebende Dunkelheit. Er prüfte mein Tragnetz, um nachzusehen, ob die Kalebassen mit Proviant und mein Schreibzeug sicher befestigt waren, dann sagte er mit leiser Stimme, daß ein Krieger sich stets vergewissere, ob alles an seinem Platz sei, nicht weil er glaube, dadurch die ihm bevorstehende Prüfung zu überleben, sondern weil es Teil seines untadeligen Verhaltens sei.
    Seine Ermahnungen beruhigten mich keineswegs, im Gegenteil, sie gaben mir die völlige Gewißheit, daß mein Schicksal besiegelt sei. Mir war nach Weinen zumute. Ich wußte genau, Don Juan war sich der Wirkung seiner Worte vollkommen bewußt. »Vertrau auf deine persönliche Kraft«, sagte er mir ins Ohr. »Das ist alles, was man in dieser geheimnisvollen Welt besitzt.« Er zog mich freundlich vorwärts, und wir machten uns auf den Weg. Er ging ein paar Schritte voran. Ich folgte ihm, die Augen auf den Boden geheftet. Ich wagte nicht, mich umzusehen, und, meinen Blick starr auf den Boden zu fixieren, hatte eine beruhigende, fast hypnotisierende Wirkung auf mich. Nach kurzem Marsch blieb Don Juan stehen. Er flüsterte mir zu, er werde jetzt vorausgehen, mir aber seine Position angeben, indem er den Schrei einer kleinen Eule imitiere. Er schärfte mir ein, seine Nachahmung beginne zunächst etwas krächzend und werde erst allmählich so weich wie der Schrei einer echten Eule. Er warnte mich mit tödlichem Ernst vor allen Eulenrufen, die dieses Merkmal nicht trügen.
    Nachdem Don Juan mir alle diese Anweisungen erteilt hatte, war ich in heller Panik. Ich packte ihn am Arm und ließ ihn nicht mehr los. Es dauerte einige Minuten, bis er mich so weit hatte, daß ich meine Worte halbwegs artikulieren konnte. Ein nervöses Zucken lief mir durch Magen und Unterleib und hinderte mich daran, zusammenhängend zu sprechen.
    Mit ruhiger Stimme drängte er mich, ich solle mich doch zusammennehmen, denn die Dunkelheit sei wie der Wind, wie ein unbekanntes Wesen, das mich überlisten könne, wenn ich nicht aufpaßte; nur, wenn ich vollkommen ruhig sei, könne ich damit fertigwerden.
    »Du mußt dich gehenlassen, damit sich deine persönliche Kraft mit der Kraft der  Nacht vereint«, raunte er mir ins Ohr. Er sagte, er wolle jetzt vorausgehen, und schon wurde ich erneut von irrationaler Angst gepackt.
    »Das ist reiner Wahnsinn!« protestierte ich. Don Juan wurde weder ärgerlich noch ungeduldig. Er lachte leise und flüsterte mir etwas ins Ohr, das ich nicht recht verstand. »Was sagtest du?« fragte ich laut mit klappernden Zähnen. Don Juan legte mir die Hand auf den Mund und flüsterte: »Ein Krieger handelt, als wüßte er, was er tut, auch wenn er es in Wirklichkeit nicht weiß.« Diesen Satz wiederholte er drei- oder viermal, als wollte er ihn mir fest einprägen. Er sagte: »Ein Krieger ist unfehlbar, wenn er seiner persönlichen Kraft vertraut, gleichgültig, ob sie klein oder gewaltig ist.«
    Nach kurzem Warten fragte er mich, wie es mir gehe. Ich nickte, und er verschwand fast geräuschlos in der Dunkelheit. Ich versuchte, mich umzusehen. Offenbar befand ich mich in einer Gegend mit üppiger Vegetation. Alles, was ich erkennen konnte, waren die dunklen Silhouetten von Büschen und kleinen Bäumen. Ich konzentrierte mich auf die Geräusche, aber mir fiel nichts Besonderes auf. Das Zischen des Windes schwächte, bis auf die sporadischen Schreie großer Eulen und das Pfeifen anderer Vögel, jeden anderen Laut ab.
    Einige Zeit wartete ich mit höchster Wachsamkeit. Und dann kam der krächzende, gedehnte Schrei der kleinen Eule. Ich bezweifelte nicht, daß es Don Juan war. Der Schrei kam von einer Stelle irgendwo hinter mir. Ich drehte mich um und begann, in diese Richtung zu gehen. Ich ging langsam, denn ich fühlte mich durch die Dunkelheit in unbestimmter Weise behindert.
    So ging ich etwa zehn Minuten. Plötzlich sprang etwas Dunkles vor mir hoch. Ich schrie auf und fiel auf den Rücken. Meine Ohren begannen zu summen. Ich hatte solche Angst, daß mir der Atem wegblieb. Ich mußte den Mund aufreißen, um Luft zu bekommen.
    »Steh auf«, sagte Don Juan sanft. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich bin

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