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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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schienen jetzt näher zu sein. Ich sprang auf und rannte in diese Richtung.
    Im nächsten Augenblick bemerkte ich abermals ein gewisses Flimmern oder eine Wellenbewegung links von mir in der Dunkelheit. Es war nicht eigentlich eine visuelle Wahrnehmung, sondern eher ein Gefühl, und doch war ich so gut wie sicher, daß ich es mit den Augen wahrnahm. Es bewegte sich schneller als ich, und wieder kreuzte es von links nach rechts meinen Weg und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Diesmal fiel ich nicht, und sonderbarerweise ärgerte ich mich darüber, daß ich nicht hinfiel. Ich wurde plötzlich wütend, und die Ungereimtheit meiner Gefühle stürzte mich in helle Panik. Ich versuchte, mein Tempo zu beschleunigen. Ich wollte selbst einen Eulenschrei ausstoßen, um Don Juan wissen zu lassen, wo ich mich befand, aber ich wagte nicht, seinen Anweisungen zuwider zu handeln.
    In diesem Augenblick gewahrte ich etwas Grauenhaftes. Da war tatsächlich so etwas wie ein Tier zu meiner Linken, beinah berührte es mich. Unwillkürlich machte ich einen Satz und schwenkte nach rechts. Die Angst raubte mir beinah den Atem. Ich war so sehr von Angst gepackt, daß ich keinerlei Gedanken im Kopf hatte, als ich durch die Dunkelheit raste. Meine Furcht schien eine körperliche Empfindung zu sein, die nichts mit meinem Denken zu tun hatte. Dieser Zustand erschien mir sehr ungewöhnlich. Mein Leben lang hatten sich meine Ängste stets auf intellektueller Ebene entwickelt und waren hervorgerufen durch bedrohliche soziale Situationen oder durch Menschen, die sich mir gegenüber bedrohlich verhielten. Diesmal jedoch war meine Angst etwas absolut Neues. Sie ging von einem unbekannten Teil der Welt aus und traf mich in einem unbekannten Teil meiner selbst. Ich hörte einen Eulenruf, diesmal sehr nah, etwa links von mir. Ich konnte die Tonhöhe nicht genau feststellen, aber es schien Don Juans Ruf zu sein. Der Ruf war nicht melodiös. Ich verlangsamte mein Tempo. Ein weiterer Schrei folgte. Das war die Heiserkeit von Don Juans Stimme, daher lief ich schneller. Ein vierter Pfiff ertönte aus sehr kurzer Entfernung. Ich konnte die dunklen Umrisse von Felsen erkennen, vielleicht waren es auch Bäume. Wieder vernahm ich einen Eulenruf und glaubte, Don Juan warte auf mich, weil wir nun außerhalb des Gefahrenbereichs waren. Ich hatte beinah den Rand dieser dunklen Fläche erreicht, als ein fünfter Ruf mich am Fleck erstarren ließ. Ich blickte angestrengt auf die dunkle Fläche vor mir, aber ein plötzliches Rascheln zu meiner Linken ließ mich rechtzeitig herumfahren, um einen schwarzen Gegenstand, schwärzer als die Umgebung, wahrzunehmen, der neben mir herrollte oder glitt. Ich keuchte und sprang davon. Ich hörte ein Schnappen, so als schmatzte jemand mit den Lippen, und dann taumelte eine sehr große dunkle Masse aus jener dunkleren Fläche hervor. Sie war rechteckig wie eine Tür und vielleicht drei Meter hoch.
    Diese plötzliche Erscheinung ließ mich aufschreien. Für einen kurzen Augenblick steigerte sich meine Angst ins Maßlose, doch schon Sekunden später war ich fast beängstigend ruhig und starrte den dunklen Gegenstand an.
    Meine Reaktionen waren für mich selbst völlig neu. Ein Teil meiner selbst schien mich mit unheimlicher Macht zu der dunklen Fläche zu ziehen, während ein anderer Teil von mir Widerstand leistete. Es war, als wollte ich mich einerseits vergewissern und andererseits hysterisch davonrennen.
    Fast hatte ich Don Juans Eulenrufe überhört. Sie schienen aus der Nähe zu kommen und hatten etwas Verzweifeltes; sie waren länger und heiserer, als stieße Don Juan sie aus, während er mir entgegenlief.
    Plötzlich schien ich meine Selbstbeherrschung wiederzugewinnen. Ich konnte mich umdrehen, und eine Weile lief ich genauso, wie Don Juan es gewünscht hatte. »Don Juan!« rief ich, als ich ihn fand.
    Er legte mir die Hand auf den Mund und bedeutete mir, ihm zu folgen, und dann trabten wir beide in gemächlichem Tempo dahin, bis wir unseren Sandsteinsims erreicht hatten. Etwa eine Stunde, bis zur Morgendämmerung, saßen wir in völligem Schweigen auf dem Sims. Dann aßen wir etwas aus den Kalebassen. Don Juan meinte, wir müßten bis Mittag auf dem Sims bleiben und dürften nicht schlafen, sondern müßten uns unterhalten, als sei nichts Ungewöhnliches passiert. Er forderte mich auf, ihm in allen Einzelheiten zu erzählen, was mir von dem Moment an, als er mich verlassen hatte, widerfahren war. Als ich meinen Bericht

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